Carolin - GesamtWerk
dem sie vor unendlich langer Zeit in den Lieferwagen gestiegen war. Es roch nach Weichspüler, war offenbar frisch gewaschen. Sie streifte es über und wunderte sich, dass ein Sommerkleid so dick und schwer sein konnte. Der Mann winkte nach ihr und sie folgte ihm hinaus, war ja gewohnt, ihm zu gehorchen. Ohne sie am Oberarm zu packen, führte er sie zum Hinterausgang der Villa und zu einem kleinen Cabrio. Wollte er sie etwa den ganzen weiten Weg zu ihrer Ferienwohnung im Norden fahren?
Das Auto rollte eine kurvige Straße den Hügel hinab und gelangte nach einigen Hundert Metern zu einem hohen schmiedeeisernen Tor. Eine Steinmauer, mehr als zwei Meter hoch, schirmte das Grundstück von der Außenwelt ab, es gab ja auch eine Menge zu verbergen. Draußen parkte im Schatten eines Baumes ihr Auto, daneben stand Simon, winkte ihr zu. Wie von Geisterhand bewegt, schwang das Tor einen Spalt weit auf und sie schlüpfte hinaus, schmiegte sich in Simons Arme. Zärtlich streichelte er ihr Haar und sie sah aus den Augenwinkeln heraus das Cabrio des Aufsehers wenden und zum Dorf zurückfahren. Ihr Auto war mit dem kompletten Urlaubsgepäck voll bepackt.
Simon hielt die Beifahrertür für sie auf. »Fahren wir nach Hause.« Sie ließ sich in den Sitz sinken und Simon setzte sich ans Steuer, lenkte das Auto die schmale Straße hinunter, auf der ihnen kein Wagen entgegenkam. Hoch stand die Sonne am Himmel, es war schon fast Mittag. Forschend schaute Simon zu ihr herüber. »Wie war’s denn?«
Sie winkte ab. »Ziemlich seltsam.«
Er lächelte verstehend und seine Hand legte sich auf ihr Knie. »Man sagte mir, dass es in dieser Siedlung etwas ungewöhnlich zugehe.«
Sie nickte. »Man mag dort Prinzessinnen nicht.« Seine weiteren Fragen verloren sich in ihrer Leere. Als der Wagen auf die Autobahn fuhr, war sie eingeschlafen …
12Das Verhör
12Das Verhör
Zurück aus Frankreich war das Büro öder denn je, verlorene Zeit, mechanisches Laufen im Hamsterrad. Die Fragen nach ihrem Urlaub beantwortete Carolin ausweichend: »Ganz nett.« Und jedes Mal tauchten die ungeheuerlichen Bilder der Kolonie vor ihr auf und jedes Mal regte sich ein aufregendes Kribbeln. Fast war es, als sei sie dort in den Händen selbstherrlicher fremder Männer besser aufgehoben gewesen als hier bei der belanglosen Arbeit.
Am Freitagabend machte sie sich für das erste Treffen mit Simon seit der Rückkehr hübsch. Es war herbstlich kühl geworden, so zog sie nach der Dusche zarte schwarze Strümpfe über die Beine, das einzig halbwegs Wärmende, das ihr die Anweisungen gestatteten, und befestigte sie an den Strapsen eines neu gekauften dunkelroten Korseletts mit halben Körbchen, die ihre Brüste stützten, ohne sie zu verhüllen. Sie hatte Lust, sich Simon reizvoll zu zeigen, freute sich auf seine Nähe und seine Zärtlichkeit, sehnte sich danach, sich in seine Arme zu schmiegen. Neu gekauft waren auch das schwarze knielange und apart dekolletierte Kleid und der lange schwarze Mantel. An Geld herrschte ja neuerdings kein Mangel, tausendfünfhundert Euro hatte ihr Simon bei der Heimfahrt von Frankreich zugesteckt, den Lohn der Sünde. Es war viel für die paar Tage und wenig für das, was man ihr angetan hatte, doch musste sie nicht rechnen, hätte es ja auch ganz ohne Bezahlung mit sich geschehen lassen.
Graue Wolken trieben über die kleine Stadt, von böigem Wind gepeitscht, es wurde schon dunkel, als sie ins Auto stieg und durch feinen Nieselregen zu Simon fuhr. Er empfing sie an der Haustür mit einer liebevollen Umarmung und führte sie in die Diele, half ihr aus dem Mantel. Ihre Lippen verschmolzen zu einem Kuss voller Begehren und sie spürte seine Hände am Rücken nach dem Reißverschluss des Kleides suchen. Er zog ihn herab und packte sie andächtig wie ein wertvolles Geschenk aus, ließ seine Blicke über sie gleiten und küsste ihre steifen Knospen. »Du siehst hinreißend aus. Du bist ein Engel.« Er nahm sie an der Hand und führte sie ins Wohnzimmer. — Dort saß jemand auf dem Sofa! Matthias! Der Mann mit der Gerte, der sie zum ersten Mal in die Welt des Schmerzes getrieben hatte, sie würde es nie vergessen. Er trug einen hellen Anzug und lächelte dünn. »Sie sieht scharf aus.« Unter seinem besitzergreifenden Blick wünschte sie sich, etwas weniger Aufreizendes angezogen zu haben.
Der Computer war eingeschaltet, in großen roten Lettern war auf dem Bildschirm auf schwarzem Grund »Haus der O« zu lesen, darunter
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