Carre, John le
Ja,
sagte er müde, die Unterlagen habe er London Station bereits eingereicht. Ja,
er verstehe, daß das Herumwerfen mit schmutzigem Geld der Vergangenheit angehöre.
»Wir
werden die nötigen Schritte unternehmen und Ihnen Bescheid geben«, verkündete
sie, was heißen sollte, daß sie Phil Porteous fragen würde, der nebenan saß.
»Ich werd's Lauder bestellen«, sagte Guillam und ging. Weiter, dachte er.
Bei
»Herren« wartete er dreißig Sekunden am Waschbecken, beobachtete im Spiegel
die Tür und horchte. Seltsame Stille hatte sich über das ganze Stockwerk
gesenkt. Los, dachte er, du wirst alt, weiter. Er überquerte den Korridor, trat
ungeniert ins Büro des Diensthabenden, knallte die Tür zu und sah sich um. Er
schätzte, daß er zehn Minuten Zeit haben würde, und er schätzte, daß eine
zugeknallte Tür weniger Lärm in dieser Stille verursachte als eine leise und
verstohlen geschlossene Tür. Weiter. Er hatte die Kamera bei sich, aber das
Licht war miserabel. Das Fenster mit der Netzgardine ging auf einen Innenhof
voll geschwärzter Rohre. Er hätte keine hellere Glühbirne wagen können, selbst
wenn er eine bei sich gehabt hätte, also strengte er sein Gedächtnis an. Seit
dem Machtwechsel schien sich nicht viel verändert zu haben. Das Zimmer war
tagsüber als Ruheraum für Damen bestimmt gewesen und war es wohl noch immer,
nach dem billigen Parfümgeruch zu schließen. An einer Wand stand das
Kunstledersofa, das nachts als Behelfslager diente; daneben der
Erste-Hilfe-Kasten mit dem abblätternden roten Kreuz auf dem Deckel und ein
aufgeklapptes Fernsehgerät. Der Stahlschrank stand noch am alten Platz
zwischen dem Schaltbrett und den gesperrten Telefonen, und er ging straks
darauf zu. Es war ein alter Schrank, er hätte ihn mit einem Dosenöffner aufgekriegt.
Er hatte seine Dietriche und einiges Leichtmetallwerkzeug mitgebracht. Dann
fiel ihm ein, daß die Kombination 312211 gelautet hatte, und er probierte sie,
vier linksrum, drei rechtsrum, zwei linksrum, rechtsrum, bis er aufgeht. Die
Scheibe war so ausgeleiert, daß sie ihre Tour von alleine lief. Als er die Tür
öffnete, quoll eine Staubwolke hervor, kroch ein Stück am Boden entlang und
entschwebte dann langsam zum dunklen Fenster. Im gleichen Augenblick hörte er
einen Ton wie eine einzelne Note, die auf der Flöte gespielt wurde;
wahrscheinlich hatte auf der Straße ein Auto gebremst; oder das Rad eines Aktenkarrens
auf dem Linoleum gequietscht; aber für ihn war es in diesem Moment einer der
langgezogenen klagenden Töne, aus denen Camillas Tonleiter-Übungen bestanden.
Sie spielte, wann immer sie dazu Lust hatte. Um Mitternacht, frühmorgens, egal
wann. Die Nachbarn konnten ihr gestohlen bleiben; sie schien überhaupt völlig
skrupellos zu sein. Er erinnerte sich, wie sie an jenem ersten Abend gewesen
war: »Welche Bettseite ist dir lieber? Wo soll ich meine Kleider hintun?« Er
hielt sich einiges auf seinen Takt in solchen Dingen zugute, aber Camilla hatte
dafür keinen Sinn, Technik war für sie bereits ein Kompromiß, ein Kompromiß mit
der Wirklichkeit, sie würde sogar sagen, eine Flucht aus der Wirklichkeit. Na
schön, dann hilf mir mal raus aus dem Salat hier.
Die
Dienst-Tagebücher waren im obersten Fach, gebunden, die Daten klebten auf den
Einbandrücken. Sie sahen aus wie Haushaltsbücher. Er nahm den Band »April«
heraus und studierte die Namensliste auf dem Innendeckel, wobei er überlegte,
ob er vom Kopierraum über dem Hof gesehen werden konnte, und wenn ja, würden
sie stutzig werden? Er ging die Eintragungen durch, seine Suche galt der Nacht
vom 10. zum 11. des Monats, in der die Codeverbindung zwischen London Station
und Tarr angeblich stattgefunden hatte. Hongkong war zeitlich acht Stunden
voraus: sowohl Tarrs Telegramm wie Londons erste Antwort waren in die Zeit
außerhalb der Dienststunden gefallen. Vom Korridor kam plötzlich ein
Stimmenschwall, und eine Sekunde lang glaubte er sogar, das humorlose Scherzen
von Allelines schottisch gefärbtem Brummbaß herauszuhören, aber was er
glaubte, war im Moment keinen Pfifferling wert. Er hatte sich eine Ausrede
zurechtgelegt, und ein Teil seiner Person hielt sie bereits für wahr. Sollte er
erwischt werden, so würde seine ganze Person sie für wahr halten, und falls die
Inquisitoren in Sarratt ihn in die Zange nehmen würden, hatte er einen Helfer
in der Not, er reiste niemals ohne. Dennoch packte ihn Entsetzen. Die Stimmen
erstarben, und der Geist Percy Allelines mit
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