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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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saß gesittet
an Guillams Seite, das Haar lang herabhängend, um die Bißmale an ihrem Hals zu
verbergen.
    di Salis redet am meisten. Die anderen Ränge finden das in Ordnung.
Schließlich ist Nelson Ko ausschließlich die Domäne des Doc: Chinesisch bis zu
den Ärmelbündchen seines Gewands. Der Doc beherrscht sich übermenschlich -
Ellbogen, Knie, Füße, fuchtelnde Finger, alles hält ausnahmsweise beinahe
still, und er bringt seine Sache so unterkühlt und beinahe mißbilligend vor,
daß die unerbittliche Klimax entsprechend aufregender ist. Und diese Klimax hat
sogar einen Namen. Er lautet Schenghsiu alias Ko, Nelson, später auch bekannt
als Yao Kaischeng, unter welchem Namen er dann während der Kulturrevolution in
Ungnade fiel.
    »Aber innerhalb dieser Mauern, Gentlemen«, piepst der Doc, für den das
weibliche Geschlecht inexistent ist, »werden wir ihn weiterhin Nelson nennen.«
    Geboren 1928 in Swatow in
ärmlichen proletarischen Verhältnissen - um die offiziellen Quellen zu
zitieren, sagt der Doc - und bald darauf nach Schanghai übersiedelt. Keine
Erwähnung, weder in offiziellen noch in inoffiziellen Verlautbarungen, von Mr.
Hibberts Missionsschule >Lord's Life<, nur ein betrübter Hinweis auf
»Ausbeutung durch westliche Imperialisten in der Kindheit«, die ihn mit
Religion vergifteten. Als die Japaner nach Schanghai kamen, schloß Nelson sich
dem Flüchtlingstreck nach Tschung-king an, genau wie Mr. Hibbert berichtet
hatte. Von Jugend an widmete Nelson sich, dies wiederum laut offizieller
Unterlagen, fährt der Doc fort, insgeheim fruchtbaren revolutionären Studien
und beteiligte sich an verbotenen kommunistischen Gruppen, ungeachtet der
Unterdrückung durch den hassenswerten Tschiang-Kaischeck-Pöbel. Auf der Flucht
versuchte er auch »bei mehreren Gelegenheiten, sich zu Mao abzusetzen, aber es
mißlang wegen seiner großen Jugend. Nach seiner Rückkehr nach Schanghai wurde
er bereits als Student ein führendes Mitglied der illegalen kommunistischen
Bewegung und übernahm Sondereinsätze in den Werften von Kiangnan und Umgebung,
um den verderblichen Einfluß von faschistischen Kuomintang-Elementen zu
unterhöhlen. An der University of Communications erließ er einen öffentlichen
Aufruf zur Schaffung einer gemeinsamen Front von Studenten und Bauern.
Abschlußexamen mit Auszeichnung im Jahr 1951 . . . «
    Hier unterbricht sich di Salis, wirft in jähem Nachlassen der Spannung
einen Arm hoch und packt den Haarschopf in seinem Nacken.
    »Das übliche schwülstige Porträt des erleuchteten Studentenhelden,
Chef, der seiner Zeit voraus ist«, singt er. »Was ist mit Leningrad?« fragt
Smiley, der am Schreibtisch sitzt und sich Notizen macht.
    »Neunzehnhundertdreiundfünfzig bis sechsundfünfzig.«
    »Ja, Connie?«
    Connie sitzt wieder in ihrem Rollstuhl. Die Schuld daran gibt sie dem
Eismonat und dieser Kröte Karla.
    »Wir haben einen Bruder Bretlew, darling. Bretlew, Iwan Iwanowitsch, Professor, Leningrad, Fakultät Schiffsbau,
alter China-Mann, leistete in Schanghai Handlangerdienste für die Chinaagenten
der Zentrale. Revolutions-Haudegen, in jüngerer Zeit als Talentsucher aus
Karlas Schule tätig, fischt unter den Übersee-Studenten nach brauchbaren
Burschen und Mädels.« Für die Wühlmäuse auf der chinesischen Seite - die Gelben
Gefahren - ist diese Information neu und aufregend und bewirkt heftiges
Stühleknarzen und Papiergeraschel, bis di Salis auf Smileys Nicken hin seinen
Kopf losläßt und seinen Bericht wieder aufnimmt.
    »Kehrte siebenundfünfzig nach Schanghai zurück und würde mit der
Leitung einer Eisenbahn-Reparaturwerkstätte betraut -.« Wiederum Smiley: »Aber
in Leningrad war er von dreiundfünfzig bis sechsundfünfzig?«
    »Richtig«, sagt di Salis. »Dann scheint ein Jahr zu fehlen.« Jetzt
raschelten keine Papiere und kein Stuhl knarrte. »Die offizielle Erklärung
lautet Rundreise zu sowjetischen Werften«, sagt di Salis, feixt Connie an und
verdreht geheimnisvoll und wissend den Hals.
    »Vielen Dank«, sagt Smiley und macht sich wieder eine Notiz.
»Siebenundfünfzig«, wiederholt er. »War das vor dem chinesischsowjetischen
Zerwürfnis oder danach, Doc?«
    »Vor. Das Zerwürfnis nahm neunundfünfzig ernsthafte Formen an.«
    Hier fragt Smiley, ob Nelsons Bruder irgendwo erwähnt werde: oder sei
Drake in Nelsons China genauso in Ungnade wie Nelson in Drakes China?
    »In einer der frühesten Biographien wird Drake erwähnt, allerdings
nicht namentlich. In den späteren

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