Caruso singt nicht mehr
ihr der Gedanke unbehaglich. Der Junge ist nicht echt, dachte sie und erinnerte sich an die Szene auf der Koppel, gestern nachmittag. Mit dem stimmt was nicht. Mütterliche Eifersucht? Sie schüttelte den Gedanken ab. Das war es nicht, da war sie sich sicher. Er liebt sie nicht, schoß es ihr durch den Kopf. Er liebt sie nicht.
Unter der heißen Dusche beruhigte sie sich wieder. Sie mußte dringend überprüfen, ob auf dem Hof und in den Ställen alles in Ordnung war. Ob etwas fehlte. Mit Krysztof reden. Und, notierte sie im Kopf, ihn bitten, den Feldweg mit Schotter aufzuschütten und zu begradigen.
Es gab soviel zu tun. Soviel zu tun.
Als Anne sich warme, trockene Sachen angezogen hatte und aus der Haustür kam, bot sich ihr ein so grotesker Anblick, daß sie laut lachen mußte. Inspektor Kosinski stand weit zurückgelehnt am Zaun zur Löschteichwiese, hielt eine Zigarette in der Hand und starrte sichtlich beunruhigt auf Dagobert, der vor ihm saß, die Ohren aufgestellt, die Rute gerade nach hinten gestreckt, und ihn nicht aus den Augen ließ. Das Tier knurrte schon, wenn der Mann auch nur die Zigarette an den Mund führte.
»Hat er wenigstens schon gefrühstückt?« rief der Inspektor mit gequälter Stimme zu ihr rüber.
Anne pfiff nach dem Hund. »Tut mir leid. Er tut nur seine Pflicht.« Sie konnte ein leises Vergnügen an der unbehaglichen Lage nicht leugnen, in der Kosinski womöglich schon einige Zeit hatte ausharren müssen. Warum sollten nicht auch andere mal in Angst und Schrecken leben?
Sie packte den Hund fest am Ohr und ging mit ihm auf Kosinski zu: »Das ist der Inspektor«, sagte sie. »Das ist ein Freund.« Dagobert knurrte. »Hörst du?« fragte Anne mit leiser Autorität, schüttelte den unwilligen Hundekopf an den Lauschern hin und her und blickte dem Tier in die Augen. Zeremoniell legte sie die freie Hand auf Kosinskis Rechte. Der Hund knurrte. »Freund«, wiederholte Anne und hielt dem Tier, das sie noch immer am Ohr gepackt hielt, des Inspektors Hand hin, die der ihr sichtlich widerstrebend überließ. Dagobert zeigte die Zähne, nahm aber Witterung auf. »Freund!« sagte Anne noch einmal, ließ Kosinskis Hand los und hob den Zeigefinger. »Hörst du?«
Was immer sich in dem Hundehirn abspielen mochte, das Knurren verebbte, Dagobert begann Kosinskis Hosenbeine zu beschnüffeln, und als der Inspektor ihm mutig die vorsichtshalber zur Faust geballte Hand ein weiteres Mal vor die Nase hielt, beroch das Tier sie mit wachsam nach oben gerichteten Augen erst verhalten, dann mit wachsendem Interesse. Schließlich hob Dagobert die Rute einige Zentimeter an und wischte dem Inspektor mit nasser Zunge einmal über die Knöchel. So begannen Freundschaften fürs Leben. Jedenfalls fürs Hundeleben.
»Freund?« fragte Kosinski und sah dem Tier in die gelben Augen. Anne, die die Szene amüsiert beobachtet hatte, mußte lachen, als Dagobert sich desinteressiert abwandte und zum Wohnhaus trottete.
»Na ja, gute Bekanntschaft ist ja auch schon was«, murmelte Kosinski und betrachtete seine Hosenbeine, die Dagobert mit einem einzigen kräftigen Schütteln seines noch immer regennassen Fells schnell noch gründlich naß gemacht hatte.
Dann blickte er Anne an. »Warum haben Sie mich nicht angerufen?« fragte er streng.
Anne zuckte mit den Schultern. »Gestern war ich zu müde. Heute hatte ich zu tun.« Und was ging ihn das überhaupt an? »Warum sollte ich?« fügte sie trotzig hinzu.
Kosinski sah sie ungeduldig an. Sie sah müde aus, fiel ihm auf. Sie hatte Ringe unter den Augen. Ihr Haar war verstrubbelt. Und ihre Hände gruben nervös in ihren Jackentaschen herum.
»Liebe Frau Burau«, sagte er mit gespielter Geduld, in einer Stimmlage, die Anne rebellisch machte. Sie drehte sich unwirsch zur Seite. Sie war zu müde für Widerworte.
»Ihr Mann ist einem Mordanschlag zum Opfer gefallen«, sagte Kosinski förmlich. »Ihr Pferdestall ist angezündet worden. Eines der Tiere ist umgebracht worden. Und Sie hat man gestern in eine Ihrer Kühlkammern gesperrt, wie ich heute morgen hörte.« Rudolf und Werner mußten bei der Polizei angerufen haben. Irgend etwas ärgerte sie an dieser Fürsorge.
»Und Sie wollen mir weismachen, das alles sei ganz normal?«
»Oder ein schlechter Scherz«, antwortete Anne, die sich über sich selbst wunderte. Warum nahm sie die Ereignisse der letzten Nacht nicht ernster?
Kosinski seufzte. »Hören Sie, Frau Burau …« Jetzt klang er plötzlich anders. Anne guckte
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