Casteel-Saga 02 - Schwarzer Engel
fort. Ich schwor mir, nicht wieder zu ihm hinzusehen, obwohl ich ihn trotz der Dunkelheit immer noch sehr gut erkennen konnte. Ein Gefühl von Unwirklichkeit umklammerte mich mit eiserner Faust. Der Schmerz in meinen Knochen hatte sich in die Brust und hinter die Augen ausgedehnt. Aber auch mein Gesicht brannte und tat weh. Sich zu bewegen wurde immer schwieriger.
»Ich fahre deinen Großvater nach Winnerow, wenn er dorthin möchte«, bemerkte Logan mit einem Seitenblick. »Er kommt oft von Georgia und Florida herauf, um nach seiner Hütte zu sehen.«
»Er meinte, Skeeter Burl würde ihn nach Hause fahren…«
»Skeeter Burl hat ihn ein paarmal zur Kirche und zurück gefahren, aber er wurde bei einem Jagdunfall vor zwei Monaten getötet. Warum bist du denn nicht in Boston? Deine Schule beginnt doch Ende August, oder?«
»Ich habe vor, morgen Nachmittag nach Boston zurückzufliegen…« Meine Antwort klang vage.
»Wenn der Regen aufhört«, entgegnete er schal.
Es goß in Strömen. Solchen Regen hatte ich noch nie gesehen, außer zu Beginn des Frühjahrs. Es war ein heftiger, peitschender Regen, der kleine Rinnsale und Quellen in wilde Flüsse verwandelte, die Brücken zum Einsturz brachten, Bäume entwurzelten und die Ufer überschwemmten. Manchmal hatte der Regen in den Willies eine Woche und länger angehalten. Wenn er dann endlich aufhörte, hatten uns ganze Seen aus Wasser daran gehindert, irgendwohin zu gehen, sogar zur Schule konnten wir oft nicht gelangen.
Dabei wartete Troy darauf, daß ich morgen spätabends zurückkam. Sobald ich wieder in Winnerow war, mußte ich ihn unbedingt anrufen. »Wie geht es deinen Eltern?« fragte ich.
»Gut«, war die knappe Antwort, die mich entmutigte, noch weitere Fragen zu stellen.
»Ich freue mich, das zu hören.«
Jetzt bog er von der breiten Landstraße ab. Wir fuhren durch einen Feldweg mit tiefen Löchern, in denen das Wasser stand. Immer noch strömte der Regen herab, prasselte gegen die Windschutzscheibe und die Fenster an meiner Seite. Logan stellte den Scheibenwischer ab und beugte sich vor, um den Weg vor uns abzutasten. Noch nie vorher hatte ich bei Logan einen so harten, so unnachgiebigen Ausdruck bemerkt. Plötzlich bewegte er sich, griff nach meiner linken Hand und starrte sekundenlang auf den riesigen Diamanten an meinem Ringfinger. »Ich begreife«, sagte er und ließ dabei meine Hand fallen, als ob er mich nie wieder berühren wollte. Ich preßte die Lippen zusammen, ignorierte alles und versuchte, an etwas anderes zu denken, als an die Art und Weise, wie mich Unsere-Jane und Keith abgelehnt hatten. Dieses schreckliche Verlustgefühl hing an mir wie altes, verfaulendes Moos.
Logan konzentrierte sich auf die Straße und sagte keinen Ton mehr. Ich war erleichtert, als er auf den Platz einbog, der den Garten der Berghütte bildete. Ein Wiedersehen damit hatte ich nicht erwartet.
Diesmal kam ich ja mit Bostoner Augen zu der Hütte, in der ich geboren wurde. Meine Empfindungen waren jetzt darin geschult, Schönheit und vollendete Architektur zu schätzen. Mein Geschmack hatte sich verfeinert, und ich konnte das Beste, was das Leben zu bieten hatte, genießen. So vorbereitet saß ich da und wartete darauf, abgestoßen und enttäuscht zu werden. Ich wunderte mich, wie es irgend jemand fertigbringen konnte, zurückzugehen… Hierher zurückzugehen!
Vor meinem inneren Auge tauchte alles auf: Die zusammengeflickte, baufällige Baracke mit der, kaputten Vorhalle, das alte Holz, das silbergrau geworden war und durch Wasser vom Zinndach streifige Flecken hatte. Der dreckige Garten, mit Unkraut und Gestrüpp verwuchert. Aber hier würden wenigstens die Regenpfützen das Schlimmste verbergen. Ich wollte keinen Blick auf das Hinterhaus werfen und mir Sorgen machen, wie es Großpapa schaffte, hin und zurück zu schlurfen. Am Vormittag mußte ich den Reverend sprechen und dann zu Troy zurückkehren.
Logan parkte das Auto. Ich aber mußte mich mit der fürchterlichen Vorstellung auseinandersetzen, daß Großpapa hier draußen war, allein im Regen. Daß ihn ein leckendes Dach nur teilweise behüten konnte. Und bei ihm war nur der Geist seiner Frau, noch dazu in einer Nacht, in der der Wind heulte. Und gerade das brachte die Hütte fast zum Einsturz.
Ich saß da und starrte hinaus. Was ich dort sah, konnte ich einfach nicht glauben.
Die zusammengeflickte Hütte war verschwunden!
An ihrer Stelle stand ein kompaktes, solide gebautes Blockhaus. Die Städter nennen
Weitere Kostenlose Bücher