Casteel-Saga 02 - Schwarzer Engel
kommen Sie, Sie machen viel zu viel Wind um etwas, das für mich wie nachlässiges Kofferpacken aussieht. Pullis geraten in Reißverschlüsse und Gepäckschlösser. Man zieht dran, um sie loszubekommen, und schon gibt’s Löcher.«
»Und die Jacke, ist die auch ganz zufällig von selbst ins Waschbecken mit heißem Wasser gefallen?«
»Ich sehe keine Jacke. Sollten Sie weitere Beweisstücke haben, warum haben Sie sie dann nicht mitgebracht?«
»Ich habe sie in den Wäscheschlucker für Handtücher geworfen. Sie können sie in der Wäscherei finden.«
»Über dem Schlucker ist ein Zeichen. Alle Kleidungsstücke gehören in den kleineren Schlucker!«
»Mrs. Mallory, es handelte sich um eine Strickjacke! Sie hätte Flecken in fremde Kleidungsstücke machen können.«
»Genau das meine ich. Sie könnte auch in weiße Handtücher und Kochwäsche Flecken machen.«
Meine Lippen fingen an zu zittern. »Ich mußte sie doch irgendwohin stecken, wo die Mädchen, die’s getan haben, das Beweisstück nicht verstecken und behaupten konnten, es wäre nichts passiert.«
Nachdenklich betastete sie die hübsche blaue Jacke. »Warum nehmen Sie nicht einfach diese Pullover und versuchen, sie mit Nadel und Faden zu flicken? Ich gestehe, ich habe keine Lust, Ihre nasse Jacke zu finden. Wenn doch, dann hieße das, ich müßte handeln und alle Mädchen ausfragen. Solche Dinge sind schon früher passiert. Wenn wir uns auf Ihre Seite stellen, würde Ihnen das denn helfen, hier akzeptiert zu werden? Ich bin überzeugt, Ihr Vormund wird Ihnen neue Pullis kaufen.«
»Sie meinen, ich sollte sie ungestraft davonkommen lassen?«
»Nein, nicht ganz. Nehmen Sie diese Angelegenheit selbst in die Hand, ohne unsere Hilfe.« Verkniffen lächelte sie mich an. »Sie müssen daran denken, Miss Casteel, daß kein Mädchen hier mehr beneidet wird als Sie, obwohl alle möchten, daß Sie glauben, Sie würden verspottet und verachtet. Sie sind sehr hübsch und besitzen ein angenehm unverdorbenes Wesen, das selten ist. Sie wirken wie jemand von vor hundert Jahren, scheu, stolz und viel zu sensibel und verletzlich. Die Mädchen sehen, was ich auch sehe, was jeder hier sieht, und Sie verwirren sie. Sie machen sie unsicher bezüglich ihrer eigenen Identität und ihrer Werte. Außerdem sind Sie noch Tony Tattertons Mündel, eines bewunderten und erfolgreichen Mannes. Sie leben in einem der schönsten alten Herrenhäuser Amerikas. Ich weiß wohl, daß Sie eine Vergangenheit besitzen, die Sie verletzt hat, aber gestatten Sie ihr nicht, Sie auf Dauer zu verwunden. Sie haben die Begabung, alles zu erreichen, was Sie sich vornehmen. Lassen Sie sich nicht von albernen Schulmädchen das ruinieren, was die besten Lehrjahre Ihres Lebens sein können. Ihrem Gesichtsausdruck kann ich entnehmen, daß Sie jetzt empört sind und irgendeine Rache oder Entschädigung für den Verlust Ihrer Kleidung möchten. Aber ist denn Kleidung nicht relativ unwichtig für Sie? Wird sie denn nicht wieder ersetzt werden? Haben diese Mädchen etwas wirklich Wertvolles zerstört, das Sie vielleicht in Ihrem Zimmer versteckt haben?«
»Oh, oh, daran hatte ich gar nicht gedacht! Auf dem Boden meines Waschkorbes hatte ich eine schwere Schachtel mit den Porträts von Keith und Unserer-Jane in Silberrahmen versteckt! Ich muß sofort nachschauen, ob man sie weggenommen oder zerstört hat!« Ich war drauf und dran zu gehen, da drehte ich mich um und begegnete dem strengen, aber sympathischen Blick aus Mrs. Mallorys Augen. »Ich denke, Sie schulden mir etwas, Mrs. Mallory, dafür daß ich schweige – und den Frieden in der Schule nicht störe.«
Mrs. Mallorys Augen wurden wachsam. »Nun gut, sagen Sie mir, was ich Ihnen angeblich schuldig bin.«
»Diesen Donnerstag soll es zusammen mit den Jungs von Broadmire Hall einen Tanzabend geben. Ich weiß, ich habe während meiner Zeit hier noch nicht genug Auszeichnungen erhalten, um eine Einladung zu diesem Tanz zu verdienen, aber ich möchte trotzdem hingehen.«
Sehr lange Zeit starrte Mrs. Mallory mich mit halbgeschlossenen Augen an, dann lächelte sie amüsiert. »Nun, das ist eine bescheidene Bitte. Achten Sie nur darauf, daß Sie die Schule nicht blamieren.«
Ich wurde nie eine der Begehrten in Winterhaven, aber wenigstens akzeptierte mich die Mehrheit der Mädchen so, wie ich war, anders und auf eine scheue, unsichere Art unabhängig. Unbewußt hatte ich meinen alten Schutzschild wiedergefunden, den ich schon in den Willies und in Winnerow
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