Charons Klaue
Gemach verwandelt, wie es einer Drow-Adligen zustand. Die Wände waren nahezu vollständig mit Wandbehängen bedeckt, und auf jedem Vorsprung oder Felsen, der als Bett oder Sitzplatz dienen konnte, lagen weiche Kissen und Decken.
Auf einem solchen Lager hatte Saribel es sich bequem gemacht. Sie war ein ganzes Stück von ihrer Schwester entfernt, beobachtete Ravel aber intensiv. Abgesehen von den drei Xorlarrins und einer Handvoll bedeutungsloser Goblins war die Höhle leer.
»Ihr fragt so leichtfertig, als wäre beides keine ernsthafte, zulässige oder auch angemessene Option«, entgegnete Berellip.
»Weil ich wissen möchte, welche Richtung Ihr wählt«, sagte Ravel. »Wenn es die erstere ist …« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn es jedoch die letztere ist, dann sollte ich mich am besten verteidigen.«
»Ihr habt die dritte Möglichkeit übersehen«, sagte Berellip mit kalter Stimme. »Euch zu Yerrininae zu gesellen.«
Ravel lachte und war sich ziemlich sicher, dass Berellip nur bluffte. Der Gedanke, ein Drider zu werden, war zu grauenvoll, um ihn ernsthaft zu erwägen.
»Oder die vierte«, ergänzte er plötzlich.
Berellip sah ihn neugierig an. Dann warf sie ihrer Schwester einen Blick zu, die nur den Kopf schüttelte und überfragt mit den Schultern zuckte.
»Sprecht.«
»Ihr könntet akzeptieren, dass all mein Handeln, selbst das, das aus Eurer höheren Warte respektlos erschien …«
»Erschien?«
»Es war respektlos, das gestehe ich«, räumte Ravel ein und verbeugte sich langsam und übertrieben tief. »Aber Respektlosigkeit lag nie in meiner Absicht, und alles geschah zum Wohl von Haus Xorlarrin.«
»Setzt Euch«, befahl Berellip.
Ravel sah sich nach dem nächsten Kissenplatz um.
»Auf den Boden«, verlangte Berellip.
Der Zauberwirker blickte ungläubig auf, beherrschte jedoch sogleich wieder seine Miene und nahm umgehend auf dem Boden Platz.
»Zum Wohl von Haus Xorlarrin?«, fragte die Priesterin.
Ravel holte tief Luft und tippte langsam mit einer Hand an seinen Kopf, während er seine Erklärung möglichst präzise zu formulieren versuchte. Aber Berellip ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Zum Wohl von Tiago Baenre, meint Ihr wohl«, stellte sie fest.
Wieder atmete Ravel tief durch und erinnerte sich dabei ausdrücklich daran, dass seine Schwestern Priesterinnen der Lolth waren, die ihre Göttin zweifellos mehr liebten als ihn. Sie hatten Arach-Tinilith durchlaufen, die wichtigste – und brutalste – Akademie von Menzoberranzan, und dort hatte sich insbesondere Berellip hervorgetan. Ravel musste mit den beiden sehr vorsichtig umgehen. Er hielt sich für schlauer als praktisch jeden anderen Drow, abgesehen vielleicht von Gromph Baenre, doch in Momenten wie diesem verstand er, dass diese Arroganz eher eine Frage der Entschlossenheit war als echte Überzeugung.
»Vielleicht auch für Tiago Baenre, aber in erster Linie für Haus Xorlarrin«, antwortete er. »Er könnte sich für uns als wichtig erweisen.«
»Weshalb ich ihn heute Nacht in mein Bett nehmen werde«, erwiderte Berellip.
»Und ich morgen«, fügte Saribel rasch hinzu.
Ravel blickte von der einen zur anderen. Er war nicht besonders überrascht. »Tiago hat Interesse an unserem Haus.«
»Er ist ein ehrgeiziger Mann, dem sein Platz im Leben nicht reicht«, erklärte Berellip.
»Deshalb interessiert ihn Haus Xorlarrin«, sagte Ravel. »Denn Haus Xorlarrin erwartet von seinen Männern mehr Leistung als jedes andere und belohnt solche Leistungen durch Respekt.«
»Das ist das Besondere an Haus Xorlarrin gegenüber ganz Menzoberranzan«, stimmte Berellip zu. »Denn nur in Xorlarrin wird Männern ernsthafter Respekt entgegengebracht.«
»Dann versteht Ihr meine Respektlosigkeit …«, begann Ravel, doch inmitten dieser Worte hielt Berellip plötzlich ihre Schlangenkopfpeitsche in der Hand. Sie schlug nach ihm, und die drei Köpfe ihrer Waffe schnappten mit gebleckten Zähnen in sein Gesicht.
Ravel warf sich nach hinten, doch Berellip kam ihm nach und schlug wieder und wieder zu. Seine Zaubererrobe bot ihm natürlich einen gewissen magischen Schutz, doch die grausamen Schlangen umgingen ihn und zerrissen Hemd und Haut gleichermaßen.
Er fühlte das schmerzhafte Gift bereits in seinem Blut, während immer neue, heiße Bisse auf ihn einprasselten.
Jetzt war auch Saribel dabei, deren Peitsche zwei weitere bissige Schlangenköpfe hinzufügte. Es hörte nicht auf, und die Pein brachte Ravel nahezu um den Verstand. Als sie
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