Christine Feehan - Karpatianer 13 - Dunkler Ruf des Schicksals
nicht verlassen, obwohl ich wusste, dass Sie in Gefahr sind, und ich nach draußen wollte, um Ihnen zu helfen. Ich saß bis zum nächsten Morgen da, obwohl ich um die Kraft betete, hinausgehen zu können. Aber ich konnte es nicht. Ich habe ihn gesehen, Destiny. Ich habe ihn gesehen und alles gehört, was er gesagt hat.« MaryAnn schauderte leicht. »Er wollte, dass Sie mich aus der Kirche holen.«
Destiny nickte. »Ja, um Ihr Blut zu trinken.« Sie sagte es unumwunden, denn sie wollte dieses Gespräch einfach nur zu Ende bringen. Sie hatte vergessen, wie sehr seelische Qualen wehtun konnten. Körperliche Schmerzen waren ihr lieber.
»Kommen wir doch noch mal darauf zurück, warum Sie glauben, ein Vampir zu sein. Wie kommen Sie auf diese Idee, Destiny? Weil dieser Irre, dieser Vampir, Blut mit Ihnen getauscht hat?«, fragte MaryAnn. »Ich kann nur von dem ausgehen, was ich in Büchern gelesen oder in Filmen gesehen habe. Ich weiß kaum etwas über Vampire und hätte mir nie träumen lassen, dass es wirklich welche gibt - bis ich diesen schrecklichen Mann sah. Jetzt bin ich für alle Möglichkeiten offen, aber ich kann trotzdem nicht glauben, dass Sie einer sind. Knoblauch zum Beispiel...«
Destiny erschauerte. »Ich rühre das Zeug nicht an. Ich weiß nicht, was es bei mir anrichten würde, doch ich habe Angst, es auszuprobieren.« Sie fuhr sich mit einer unsicheren Hand durchs Haar. »Ich habe seit Jahren nicht mehr in den Spiegel geschaut. Ich glaube nicht, dass ich ein Spiegelbild habe, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Ich würde so gern in die Kirche hineingehen, aber ich traue mich nicht.«
»Liebes ...« Mary Ami packte sie fest an den Schultern und drehte sie um. »Ihr Spiegelbild ist in dem Spiegel da drüben genauso klar und deutlich zu sehen wie meines. Und zufällig stehen Sie direkt unter einem Strang Knoblauch. Es ist Ihnen nicht einmal aufgefallen.«
Destinys strahlender Blick fand sich selbst in dem breiten Spiegel hinter der Bar. Sie sah blass aus, unruhig und verängstigt. Gehörte dieses Gesicht wirklich ihr? Als sie sich zum letzten Mal gesehen hatte, war sie acht Jahre alt gewesen. Wie lange lag das zurück? Sie wusste es nicht. Sie erkannte die Frau nicht, die sie aus dem Spiegel anstarrte. Über der Theke, wo auf Tafeln diverse Snacks angeschrieben waren, hingen einige Lebensmittel, unter anderem auch etliche Netze mit Knoblauchknollen.
Destiny, die befürchtete, ihr Spiegelbild könnte verschwinden, wenn sie den Blick abwandte, beobachtete sich selbst dabei, wie sie den Kopf schüttelte. »Ich habe schon sehr lange in keinen Spiegel mehr geschaut. Ich hatte Angst vor dem, was ich sehen könnte - oder was ich nicht sehen könnte.«
»Liebes«, fuhr MaryAnn freundlich fort, »als Sie mich in die Kirche geschubst haben, sind Sie mit hineingegangen. Ich wollte immer noch zu diesem Mann. Ich hatte keine Kontrolle über mich, bis Sie mit mir sprachen.«
Einen Moment lang, während beide Frauen diese Information verarbeiteten, herrschte Schweigen. »Ich war in der Kirche ?«
»Und dann hatten Sie die Kontrolle über mich«, fuhr MaryAnn nachdenklich fort. »Destiny, was Sie auch sein mögen, Sie sind nicht schlecht. Sie haben mit diesem Monster nicht das Geringste gemeinsam.« Ein Schauer überlief sie, als sie an die spitzen, scharfen Reißzähne dachte, die mit Blut befleckt gewesen waren. Sie schaute sich im Lokal um, entdeckte einen kleinen freien Tisch in der Ecke und lotste Destiny dorthin. Allmählich begriff sie, warum die junge Frau so verstört blickte. Wie lange lebte Destiny schon mit dem Wissen, dass derartige Monster existierten?
»Setzen Sie sich, Destiny.« MaryAnn schlug bewusst einen autoritären Ton an. Destiny war so blass und sah so mitgenommen aus, als könnte sie jeden Moment umkippen. Als Destiny sich hinsetzte, nahm MaryAnn ihr gegenüber Platz. »Hat dieser Mann wirklich Ihr Blut getrunken und Sie gezwungen, seines zu trinken?« Es schien eine lächerliche Frage zu sein, ein Dialog aus einem Horrorfilm, aber MaryAnn hatte dieses Geschöpf bei der Kirche gesehen und gewusst, dass es böse und kein menschliches Wesen war. Sie hatte miterlebt, wie unvorstellbar schnell Destiny sich bewegen konnte, als sie ihn angegriffen hatte.
»Nicht er.« Destiny sprach so leise, dass MaryAnn Mühe hatte, sie zu verstehen. Sie schien sehr weit weg zu sein. »Es war ein anderer. Vor langer Zeit. Er ...« Destiny brach ab und legte eine Hand schützend an ihre Kehle, als
Weitere Kostenlose Bücher