Christmasland (German Edition)
ihn in die Tasche und streckte dann erneut die Hand nach dem Handschuhfach aus.
Und dann geschah etwas Seltsames: Als er mit der Hand über die Trennwand griff, schrumpften plötzlich seine Finger. Die Fingerspitzen verschwanden, und die Finger endeten beim ersten Gelenk. Seine Schulter zuckte nervös, aber er zog die Hand nicht zurück. Es war grotesk und zugleich seltsam faszinierend.
Er konnte seine Fingerspitzen noch spüren, doch er sah sie nicht mehr.
Wayne streckte den Arm weiter aus und schob seine Hand durch die unsichtbare Barriere. Sein Arm schrumpfte zu einem glatten, rosafarbenen Stumpf – eine schmerzlose Amputation. Er öffnete und schloss die Faust, die er nicht mehr sehen konnte. Sie war noch da, er spürte sie deutlich. Er wusste nur nicht genau, wo sie sich befand.
Er schob den Arm weiter in die ungefähre Richtung des Handschuhfachs, wo sein Handy lag.
Etwas berührte ihn am Rücken. Zugleich hatte er das Gefühl, dass seine unsichtbare rechte Hand auf etwas Festes gestoßen war.
Wayne drehte den Kopf und blickte hinter sich.
Aus dem Sitz hinter ihm ragte ein Arm hervor – sein Arm. Er hatte das Polster nicht durchstoßen, sondern schien mit ihm verwachsen zu sein. An der Stelle, wo der Arm ins Polster überging, wirkte er wie mit dem beigen Leder verschmolzen.
Eigentlich hätte Wayne schreien müssen, doch er hatte nicht mehr die Kraft dazu. Er ballte die rechte Hand zur Faust. Die Hand, die aus dem Lederpolster ragte, vollführte genau dieselbe Bewegung. Beim Anblick des körperlosen Arms, der seinen Befehlen folgte, wurde ihm ganz übel.
» V ielleicht solltest du dich einmal selbst im Armdrücken herausfordern«, sagte Manx.
Wayne zuckte zusammen und zog unwillkürlich seinen Arm zurück. Der körperlose Arm verschwand – wurde vom Leder verschluckt – und befand sich kurz darauf wieder an seiner Schulter, wo er hingehörte. Wayne legte sich die Hand auf die Brust. Sein Herz raste.
Manx blickte durch das rechte Fenster herein. Sein Grinsen enthüllte die schiefen, vorstehenden Schneidezähne.
»In diesem Wagen wird es einem nie langweilig, was? Immer wieder eine neue Überraschung!«
In einer Hand hielt er einen Teller mit Rührei, Speck und Toast und in der anderen ein Glas Orangensaft.
»Ich kann dir sagen, dass an diesem Frühstück nichts Gesundes ist! Jede Menge Butter, Salz und Cholesterin. Selbst der Orangensaft ist ungesund. Es handelt sich nämlich gar nicht wirklich um Saft, sondern um ein ›Fruchtsaftgetränk‹. Aber ich habe in meinem ganzen Leben keine V itamine zu mir genommen und bin trotzdem uralt geworden. Lebensfreude ist immer noch die beste Medizin!«
Wayne setzte sich auf die Rückbank. Manx öffnete die Tür und reichte ihm den Teller und den Saft. Wayne fiel auf, dass er ihm keine Gabel mitgebracht hatte. Manx tat zwar so, als wären sie beste Freunde, aber er gab ihm nichts an die Hand, was er als Waffe hätte benutzen können – eine eindeutige Erinnerung daran, dass Wayne nicht sein Freund, sondern sein Gefangener war. Wayne nahm den Teller entgegen, dann stieg Manx ein und setzte sich neben ihm auf die Rückbank.
Manx hatte behauptet, kein Kinderschänder zu sein, aber Wayne machte sich dennoch auf einen Übergriff gefasst. Manx würde ihm zwischen die Beine fassen und ihn fragen, ob er manchmal mit seinem Schniedelwutz spielte.
Wayne würde sich wehren. Er würde Manx den Teller mit dem Frühstück an den Kopf werfen. Er würde treten und beißen.
V ermutlich umsonst. Wenn Manx ihm die Hose runterziehen und … Sachen mit ihm machen wollte, dann würde Wayne ihn nicht daran hindern können. Manx war stärker. So einfach war das. Wayne würde sich alle Mühe geben, damit klarzukommen. Er würde sich vorstellen, dass sein Körper gar nicht ihm gehörte, und an die Schneelawine denken, die er einmal mit seinem V ater gesehen hatte. Er würde sich vorstellen, unter dem Schnee begraben zu sein, von ruhiger Erleichterung erfüllt. Irgendwann würde er tatsächlich irgendwo begraben werden (wahrscheinlich eher früher als später), und dann würde es keine Rolle mehr spielen, was Manx ihm jetzt antat. Er hoffte nur, dass seine Mutter es nie herausfand. Sie war auch so schon unglücklich und kämpfte verzweifelt gegen Wahnsinn und Alkoholismus – es wäre schrecklich, wenn sie seinetwegen noch mehr leiden müsste.
Aber Manx machte keine Annäherungsversuche. Er seufzte nur und streckte die Beine aus.
»Wie ich sehe, hast du dir schon ein bisschen
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