Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
arbeiten.“
„Meinst du nicht, dass ich schon genug Sorgen habe?“, entgegnete ich grimmig.
Er zuckte mit den Schultern. „Du kannst jederzeit nach Hause gehen, Seth. Du musst nicht hierbleiben.“
Ich fluchte schon wieder, wie jedes Mal, wenn wir diese Unterhaltung in den vergangenen trostlosen Monaten geführt hatten. Wie so oft dachte ich sehnsüchtig an die Schleuse in den feuchten, grünen Wäldern zurück, durch die wir in die Anderwelt gekommen waren. Sie war so nah, höchstens einen schnellen Tagesritt entfernt.
Ich wollte nicht hier sein, aber ich wollte Conal auch nicht allein lassen. Die Welt der Vollsterblichen war ganz genau so, wie Carney sie mir beschrieben hatte: voller Läuse, voller Krankheiten, voller Priestergesetze. Ich traute den Vollsterblichen nicht bis zur Spitze meines Kurzschwerts. Sie lebten in Elend und Dunkelheit, und wenn sie reich waren, lebten sie in etwas feinerem Elend. Von wegen wasche n – man konnte fast meinen, sie hätten noch nie etwas von Wasser gehört. Es sei denn, um damit billigen Alkohol zu brauen, von dem sie immer viel zu viel tranken. Es schien, als merkten sie einfach nicht, dass der Dreck, in dem sie lebten, einer der Gründe dafür war, warum sie so oft im Dreck und unter Qualen starben. Kein Wunder, dass sie vollsterblich waren.
Conal behauptete natürlich, es sei nicht ihre Schuld. Sie seien nun mal so geboren, ihre Rasse habe sich eben so entwickelt, und sie seien anfällig für Krankheiten, die uns nichts anhaben konnten. Er sagte, sie seien die meiste Zeit ihres kurzen Lebens von Verzweiflung und Angst getrieben und kämen nur selten zum Lernen und Nachdenken. Doch irgendwann würde sich auch das Leben der Vollsterblichen verlängern, sagte er.
Ich hatte eine andere Theorie: Sie konnten nicht in den Geist eines anderen eindringen. Sie kannten weder Schmerz, Kummer noch Tod, bis er ihnen am eigenen Leib widerfuhr. Und wenn sie das Leid eines anderen doch einmal erkannten, hielten sie es anscheinend für minderwertiger als ihr eigenes. Und darum unternahmen sie nie etwas dagegen. Vielleicht hatte die Natur ihnen deshalb nur so wenig Zeit eingeräumt. Ich war der Ansicht, dass meine Rasse höher entwickelt war, und offenbar gab die Natur mir Recht.
Conal teilte meine Meinung zwar nicht, weigerte sich aber, mit mir darüber zu streiten.
„Bilde dir bloß nicht zu viel auf deine Herkunft ein, Seth.“ Dabei beließ er es zumeist. Oder er sagte: „Im Angesicht einer Schwertspitze sind wir alle vollsterblich, Murlainn.“
Nun, an meinem Stolz würde ich in der Verbannung wohl kaum sterben. Die schönen Räume in der Festung meines Vaters hatten wir gegen eine armselige Hütte mit Lehmboden eingetauscht. Sie war mit Heidekraut und Stroh gedeckt und ihre Mauern bestanden aus Steinen, Schlamm und Dung. Von innen waren die Wände rußgeschwärzt, denn während die Kälte immer einen Weg fand, ins Haus zu dringen, ganz gleich wie eifrig wir die Ritzen rund um die Tür stopften, schien der Rauch irgendwie nie nach draußen abzuziehen. Wir versuchten unsere finstere Behausung so sauber wie möglich zu halten, was sich als echte Herausforderung erwies. Conal fand die Lage der Hütte gu t – sie war mehr als zwei Meilen von den umeinandergescharten Häusern und Höfen der Vollsterblichen entfernt und halb zwischen Vogelbeerbäumen und Birken verborgen. Ich hingegen konnte diesem Ort beim besten Willen nichts abgewinnen. Ich hasste ihn.
Conal zog ein paar staubige Wälzer aus der Ledertasche und klappte einen von ihnen auf. Er roch nach Schmutz und Moder, nach Kerzenrauch und Wissen.
„ So langweilig ist mir nun auch wieder nicht“, sagte ich.
„Du hast doch heute Abend sowieso nichts anderes vor“, erwiderte Conal.
Ich wich zurück. „Ich könnte den Mäusedreck aus der Vorratskammer fegen.“
Lachend packte er mich bei der Schulter und schubste mich auf einen Stuhl, der neben seinem stand. „Bei allen Göttern, wieso muss ausgerechnet ich das übernehmen?“
„Keine Ahnung. Wo Lilith doch so eine gute Mutter is t … Woher hast du die eigentlich?“ Ich deutete mit dem Kopf auf die Bücher.
„Vom Seelsorger.“
„Vom Priester?“
„Ich hab dir doch gesagt, dass er kein Priester mehr ist. Er ist jetzt Seelsorger.“
Wie auch immer er sich nannt e – der Priester war ein erträglicher Mann. Groß und dünn, asketisch und streng, aber freundlich. Und er hatte eine pragmatische Ader, die mir entgegenkam: Offenbar ließ sich seine Religion
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