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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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weinen, Wolfkiller«, sagte er. »Du bist auserwählt, und deine schäbigen kleinen Theatertriumphe werden dir nichts mehr bedeuten, noch ehe der Morgen graut.«
    Wieder brach er in sein schauerliches Gelächter aus, und ich hegte in diesem Augenblick nicht den geringsten Zweifel, daß er ein Gesandter des Teufels war, daß Gott und der Teufel existierten, daß ich irgendwie von einem unermeßlichen Reich finsterer Wesen und schrecklicher Bedeutungen vereinnahmt worden war.
    Der Gedanke blitzte in mir auf, daß das die Strafe für mein Leben sei, aber dann schien mir das wieder ein absurder Gedanke. Millionen Menschen auf der ganzen Welt dachten so wie ich. Warum zum Teufel widerfuhr also ausgerechnet mir das alles? Und eine gespenstische Vorstellung nahm in meinem Inneren Gestalt an - daß die Welt genauso sinnlos war wie je und daß das hier nur eine zusätzliche Variante des allgemeinen Grauens war.
    »Bei Gott dem Allmächtigen, verschwinde!« rief ich. Ich mußte jetzt an Gott glauben. Ich mußte. Das war meine einzige Hoffnung. Ich bekreuzigte mich.
    Einen Augenblick lang starrte er mich mit wuterfüllten Augen an. Dann wurde er ganz ruhig. Er sah mir zu, wie ich mich weiter bekreuzigte. Er hörte mir zu, wie ich wieder und wieder Gott anrief. Und die ganze Zeit über lächelte er nur, wobei sein Gesicht zu einer Maske erstarrte.
    Ich aber wand mich wie ein kleines Kind in Heulkrämpfen. »Dann regiert also Satan im Himmel, und der Himmel ist die Hölle«, sagte ich zu ihm. »O Herr, verlasse mich nicht…« Ich rief alle Heiligen an, die ich jemals kurz verehrt hatte.
    Schließlich versetzte er mir einen gewaltigen Schlag ins Gesicht. Ich kippte zur Seite und wäre beinahe vom Bett auf den Fußboden gefallen. Das Zimmer drehte sich. Der säuerliche Weingeschmack kam mir hoch. Und wieder spürte ich seine Finger in meinem Genick.
    »Kämpfe nur, Wolfkiller«, sagte er. »Gehe nicht kampflos in die Hölle. Verspotte Gott.«
    »Ich spotte nicht«, protestierte ich.
    Wieder zog er mich zu sich heran. Und ich wehrte mich heftiger, als ich mich je im Leben gegen etwas gewehrt hatte, die Wölfe eingeschlossen. Ich schlug und trat auf ihn ein, ich riß ihn an den Haaren. Aber ich hätte es ebensogut gegen einen Wasserspeier an der Kathedrale aufnehmen können.
    Er grinste nur. Dann wich alles Leben aus seinem Gesicht. Seine Wangen waren hohl, die Augen fast erstaunt aufgerissen, und er öffnete den Mund. Die Unterlippe zog sich zusammen, und ich sah deutlich die Fangzähne.
    »Verflucht seist du, verflucht seist du, verflucht seist du!« schrie und brüllte ich. Und er beugte sich über mich, und die Zähne drangen in mein Fleisch.
    Diesmal nicht, sagte ich mir wutentbrannt, diesmal nicht. Ich werde nichts spüren. Ich werde widerstehen. Diesmal werde ich um meine Seele kämpfen.
    Aber es geschah wieder. Die wonnigen Schauer und die Welt weit entrückt; und selbst er in all seiner Häßlichkeit konnte mir nichts anhaben, wie einen ein Insekt nicht ekelt, das von außen gegen das Fenster fliegt; und der Klang des Gongs und ein Wohlbefinden sondergleichen; und dann war ich allem ganz und gar entrückt. Ich war körperlos und versank in ein Netz strahlender Träume.
    Ich sah eine Katakombe. Ein bleicher Vampir lag erwachend in seinem flachen Grab. Er war in schwere Ketten gelegt, der Vampir, und über ihn stand jenes Monster gebeugt, das mich entführt hatte, und ich wußte, daß sein Name Magnus war und daß er in diesem Traum noch sterblich war, ein großer und mächtiger Alchimist. Und er hatte diesen schlummernden Vampir just vor der folgenschweren Stunde der anbrechenden Dunkelheit ausgegraben und gefesselt.
    Und nun, da das Licht vom Himmel schwand, trank Magnus das magische und verfluchte Blut seines hilflosen, unsterblichen Gefangenen, das ihn selbst zu einem der lebenden Toten machen würde. Es war Verrat, Diebstahl der Unsterblichkeit. Ein finsterer Prometheus, der ein flackerndes Feuer stahl. Gelächter in der Dunkelheit. Gelächter, das durch die Katakombe, durch die Jahrhunderte hallte. Und der Gestank des Grabes. Und ein unergründlicher, unwiderstehlicher Taumel, der langsam verebbte.
    Ich weinte. Ich lag auf dem Stroh, und ich flehte: »Nicht aufhören, bitte…«
    Magnus hielt mich nicht mehr in seinen Armen, und ich atmete wieder selbst, und die Träume hatten sich aufgelöst. Ich fiel in einen unendlichen Abgrund, und die Sterne entfernten sich nach oben, Edelsteine auf einem dunklen, lila Schleier.

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