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Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition)

Titel: Chronik des Cthulhu-Mythos I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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»geplant« gewesen, müsste man an die didaktische Pedanterie eines schriftstellernden Schulmeisters denken. Aber wie gesagt, hat Lovecraft diesen Text ganz buchstäblich nur für sich selbst geschrieben und nie auch nur abgetippt, geschweige denn einem Verlag gezeigt. Tatsächlich steht das Manuskript zum Teil auf Rückseiten von Werbesendungen, beschriebenen Briefcouverts und Hotelschreibpapier, das er bei seinen Reisen als Werbegeschenk bekam. Also liegen die Gründe an anderer Stelle. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir sie in seiner tiefen, ja leidenschaftlichen Liebe zu seiner Stadt, in seiner unlöslichen Verbundenheit mit allen Aspekten der Geschichte von Providence suchen. ›The Case of Charles Dexter Ward‹ ist eine Liebeserklärung an eine Stadt, und das ist die tiefste Emotion in dem Text, der seine narrative Fülle ganz wesentlich bedingt. In einem Satz wie jenem, dass der Kirchturm der First Baptist Church von 1775 der schönste in ganz Amerika sei, spiegelt sich Lovecrafts ästhetische Bindung an seine eigene Stadt.
    Dr. Marinus Bicknell Willett wohnt, wie wir aus seinem letzten Brief an Ward Senior erfahren, in 10 Barnes Street; das aber war Lovecrafts eigenen Adresse von April 1926 bis Mai 1933. (Willetts Name ist vielleicht durch den amerikanischen Freiheitshelden Colonel Marinus Willett beeinflusst, der 1777 die amerikanischen Truppen bei Fort Stanwix anführte). Hazard Weeden (Nachkomme von Curwens erbittertem Gegner Ezra) wohnt 598 Angell Street – wo Lovecraft von 1904 bis 1924 gelebt hat! Das Familienanwesen der Wards, Charles’ Elternhaus, ist – wie aus den Beschreibungen deutlich hervorgeht – 140 Prospect Street, das »Halsey Mansion«. Dieser 1801 von Colonel Thomas Lloyd Halsey erbaute feine Backsteinbau mit zwei turmartigen, runden Seitenflügeln (den man sich nicht zu großbürgerlich vorstellen darf) muss Lovecraft schon früh bei seinen Spaziergängen aufgefallen sein. Er liegt nur wenige Blocks von den diversen Wohnungen, die Lovecrafts zeit seines Lebens in Providence selbst bewohnt hat. Als er ›Charles Dexter Ward‹ schrieb, war er vom Wohnzimmer seiner Tante in 10 Barnes Street (nicht von seinem eigenen Zimmer aus) gut sichtbar. Die Vergangenheit dieses Hauses war jedem an Lokalgeschichte Interessierten vertraut. Halseys Sohn gleichen Namens (bekannt als »wild Tom Halsey«, wie Lovecraft einmal schreibt) war ab 1812 US-Konsul in Buenes Aires gewesen und zu beträchtlichem Wohlstand und einem unehelichen Sohn gekommen, dem er sein Domizil vermachte – unter der Bedingung, dass dieser nach Providence zöge und den Namen Halsey annehmen würde. Als dieser Sohn später sehr zur Verärgerung der neuenglischen Verwandtschaft Halseys tatsächlich nach Providence kam, wurde um den Besitz des Gebäudes jahrelang durch alle Instanzen prozessiert. Das klingt recht harmlos. Aber nach einem Gerücht, welches Lovecraft in einem Brief erwähnt und das ich von Henry Beckwith (der in Providence aufgewachsen ist) auch mündlich gehört habe, spukt es im Halsey Mansion … Und zwar soll es ein unpassend zu nächtlicher Stunde Klavier spielender Geist sein, der da umgeht. Lovecraft erfuhr von diesen Geschichten im August 1925 durch seine Tante Lillian D. Clark. Auch einen nicht zu entfernenden Blutfleck soll das Haus 1912 besessen haben. Ob dieser heute noch sichtbar ist, habe ich nicht in Erfahrung bringen können (das Gebäude ist jetzt in mehrere Apartments aufgeteilt). Da Providence im Allgemeinen eine Stadt nüchterner Geschäftsleute war und ist, finden sich Geschichten über Geisterhäuser nicht eben oft. Gertrude Kimball erzählt, die Schwarzen hätten sich Anfang des Jahrhunderts nicht getraut, nachts an dem Haus vorbeizugehen und es auch am Tag um keinen Preis betreten. Diese Geschichten müssen Lovecraft mächtig gefallen haben.
    Es gibt aber noch eine weit erstaunlichere Beziehung des realen »Halsey Mansion« zu unserer Novelle, auf die zuerst die Ärztin M. Eileen McNamara in einer mit S. T. Joshi zusammen verfassten Studie von 1989 aufmerksam gemacht hat. 1910 wurde in dieses Haus William Lippitt Mauran geboren, ein kränklicher, frühreifer Knabe, der rein äußerlich Charles Ward geähnelt zu haben scheint und wegen seiner kränkelnden Konstitution mehrere Jahre von seinem Kindermädchen in einem Wagen durch die Straßen gefahren wurde (wie anscheinend auch Ward einige Zeit). Mauran musste sich lange in Butler Hospital aufhalten (wo Curwen, Wards Doppelgänger, endet).

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