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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Protest nach Hause gegangen. So durfte man die Diener des Staates nicht behandeln. Nicht einmal in Zeiten wie diesen!
    In der Zwischenzeit war die Dunkelheit weiter vorangeschritten. Lesen, ohne sich dabei die Augen zu verderben, war so eigentlich nicht mehr möglich. Bronstein sah sich nach eineralternativen Lichtquelle um. Nach kurzem Überlegen öffnete er Pokornys Spind und wurde tatsächlich ganz unten fündig. Auf Pokorny war eben Verlass. Obwohl es noch sechs Wochen bis Weihnachten waren, hatte der natürlich schon einen Adventkranz besorgt. Nun, der musste nun als Beleuchtung herhalten. Bronstein stellte ihn auf den Tisch und zündete alle vier Kerzen gleichzeitig an. Damit, so meinte er, sollte es leidlich gehen, die Akten weiter zu studieren. Den Fall Feigl hatte er bereits gesondert abgelegt, um den würde er sich zuerst kümmern. Den diversen Eigentumsdelikten widmete er hingegen keine Aufmerksamkeit. Immerhin arbeitete er für die Mordkommission. Um derartige Vergehen sollten sich gefälligst die Bezirkskommissariate selbst bemühen. Er würde also Pokorny die Weisung geben, die diesbezüglichen Fälle am nächsten Tag mit einem entsprechenden Vermerk zu retournieren. Somit fiel ihm nur noch eine Sache auf, die eventuell tatsächlich in seine Zuständigkeit fallen mochte.
    Das Bezirkskommissariat Josefstadt hatte eine Anzeige an die Mordkommission weitergegeben, in der es vordergründig um die Abgängigkeit einer Person ging. Die Ehefrau des Vermissten war am Morgen des 6. November im Kommissariat erschienen und hatte angegeben, dass ihr Gatte seit dem Abend des 4. November nicht mehr zu Hause erschienen sei, was so gar nicht seiner Art entspreche. Und da der Mann seit Ende Oktober mehrere Drohschreiben erhalten habe, denen er aber keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, befürchte die Frau nun, ihr Mann sei Opfer eines Verbrechens geworden.
    Nun, das klang interessant. Bronstein vertiefte sich in den Akt. Der Mann sei 62 Jahre alt und wohne in der Florianigasse. Seine Frau, die er 1889 geheiratet habe, zähle 50 Lenze. Kinder seien ihnen keine vergönnt gewesen. Der Mann sei nach der Schule in die Militärrealschule in Mährisch-Weißenkirchen eingetreten und von dort 1878 als Leutnant abgegangen. Erhabe sich freiwillig nach Bosnien gemeldet, wo er in der Folge zehn Jahre Dienst tat, um Anfang 1889 als Hauptmann nach Wien zurückzukehren. Er habe um die Erlaubnis zur Heirat angesucht, welchem Begehren stattgegeben wurde. Bis 1892 besuchte der Mann den Generalstabskurs, ein Jahr später wurde er der Stabsstelle in der Maria-Theresien-Kaserne dienstzugeteilt. 1895 zum Major befördert, wurde er einige Jahre später Oberstleutnant und schließlich 1907 Oberst. Als solcher bekam er das Kommando über den Militärbezirk Tarnopol, wo er sich jedoch nicht sonderlich mit Ruhm bekleckert zu haben schien, denn zu Kriegsbeginn war er immer noch Oberst. Er bekam das Kommando über eine Kompanie an der Ostfront.
    Jetzt stutzte Bronstein. In dieser Kompanie hatte er gedient. Er blätterte zurück und sah sich den Namen des Mannes noch einmal genauer an. Richtig. Generalleutnant Wilhelm Spitzer, Edler von Grabensprung. Das war sein Kommandeur gewesen. Bronstein erinnerte sich lebhaft an die kleine Gestalt, die bei jeder Gelegenheit cholerisch herumgebrüllt hatte und wie weiland Rumpelstilzchen auf- und abgesprungen war. Der Mann war in militärischer Hinsicht ein außerordentlicher Versager gewesen, durch seine katastrophalen strategischen Fehler war 1915 die halbe Kompanie gefallen, ehe das Kontingent im Zuge der Schlacht um Tarnow-Gorlice schließlich völlig aufgerieben worden war. In Bronstein loderte alter Hass auf. Es geschah dem Ekel recht, wenn ihn jemand nun zur Rechenschaft gezogen hatte, dachte Bronstein bitter. Doch gleich hatte er sich wieder im Griff. Als Polizeibeamter hatte er objektiv zu bleiben und durfte sich nicht von persönlichen Gefühlen leiten lassen. Und doch, unwillkürlich lehnte sich Bronstein zurück und ließ für einen Augenblick seinen Erinnerungen freien Lauf. Nach dem Desaster bei Tarnow hatte man Spitzer eine typisch österreichische Behandlung angedeihen lassen. Er wurde nach einigen Monaten, die man anstandshalber hatteverstreichen lassen, bei gleichzeitiger Erhebung in den erblichen Adelsstand und damit verbundener Beförderung zum Generalleutnant in den dauernden Ruhestand versetzt. Ziemlich genau an seinem 60. Geburtstag, wie Bronstein nun feststellte. Die Erhebung in den

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