Clemens Gleich
gestreut hatte, als ob die etwas für seine Situation konnten. Was der Welt fehlte, fand Pi, war mehr Krieg und Verwüstung. Die Stammesältesten hatten ihm früher als Gutenachtgeschichten von den Waraii erzählt, jener wilden Horde der gemeinsten Wesen aus der fortwährend wiederkehrend zerstörten Unterwelt, die immer wieder über die Randgebirge in die anliegenden Länder einfielen und dort wahllos alle Anderen angriffen wie ein hormonkrankes Stänkerschulkind. Wo waren die denn zum Beispiel jetzt? Oder eine Krankheit, die ihre Opfer blutrünstig und kannibalisch machte, damit dann fröhlich jeder gegen jeden kämpfte. Das war ja wohl kaum zu viel verlangt. Wo waren die Kriegsherren, wo die raubenden Banden, wo die... wo... Pi hielt inne, als der nicht mit gewalttätigen Spekulationen beschäftigte Teil seines Selbsts zwei Dinge wahrnahm: erstens einen Hauch von Pikmo an einem Findling, gegen den er gerade trat, und zweitens aus dem Augenwinkel eine wohlbekannte Verzerrung, einen Hinweis auf einen möglichen Durchgang an einen Ort, näher als der Abstand zwischen zwei Liebenden und ferner als die Bruchstücke einer zerbrochenen Ehe. Lauthals lachend klatschte Pi in die Hände und machte sich auf, seine Beute im eigenen Revier zu verfolgen.
Gramp und seine Mannschaft hatten zwischenzeitlich den kleinen Ort Armstengeln erreicht, wo sie sich bei einem unglücklich wirkenden Wirt in einer Herberge einquartierten, um ihre Wunden zu lecken. Ein Arzt mit Gehilfin kümmerte sich um die tiefen Fleischwunden des Felligenhunds und die größtenteils stumpfen Verletzungen der Wächter. Gramp lehnte den Druckverband für seine gebrochenen Rippen ab. Aus Erfahrung wusste er, dass dieser keinen Unterschied machen würde, dass er so oder so mindestens sechs Wochen bei jedem tiefen Atemzug und jedem Lachen eine schmerzhafte Erinnerung an diese Auseinandersetzung haben würde. Statt der medizinischen Versorgung widmete sich Gramp der Zukunft. Er hatte die Faxen dicke, er wurde das Gefühl nicht los, von diesem Viech vorgeführt worden zu sein. Es wurde Zeit für ernsthafte Maßnahmen; Maßnahmen, die der Hauptmann auf der örtlichen Wache zu finden hoffte. Konkret fand er dort einen jungen Offizier, der ihn an die unbequemeren Aspekte seines eigenen jüngeren Selbsts erinnerte. Der gute Anforth Gramp war schon immer schüchtern gewesen, aber im ungefähren Alter seines Kollegen hier hatte er dennoch den Deckel gefunden, der perfekt passte. Oder besser: Sie hatte ihn gefunden, denn er selbst hatte nichts gemacht außer ihr verwundert in eine denkwürdige Zweisamkeit zu folgen. Sie war ausgeflippt, wo er konservativ war, extrovertiert, wo er schüchtern war und glühend heiß, wo er eiskalt war. Sie hatten nichts gemeinsam, und genau deshalb passten sie so gut zusammen. Eine romantische Geschichte, wie sie sich Gramp früher vorgestellt hatte, ließe hier nur zwei Enden zu: ein glückliches Happy End oder ein tragisches Ende, in dem sie ihn bis in den Tod liebte, den sie zu früh sterben musste. Die mitgefühlsfreie Wirklichkeit indes wartete mit ihrem Lieblingsende auf: Irgendwann erlosch einfach der Ofen in ihrem Herzen und sie ging. Er sah sie nie wieder, und weil man die große Liebe eben nur einmal haben kann, war Gramp in der Zwischenzeit nicht gerade auf Brautschau gewesen. Erstaunlich: Genau so wie dieser junge Mann hatte er damals ausgesehen. Sie hatte sich in sein zu jener Zeit noch praktisch unbeschriebenes Herz gebrannt und saß dort unauslöschlich als kleine Kopie, der er alles erzählte, was in seinem Leben passierte. Leonore... Leni...
Mit einem Zucken rastete der Hauptmann wieder in der Gegenwart ein, in der er seinem Gegenüber offenbar gerade mit geistesentrückt glasigem Blick an den Augen vorbeigesehen und daher bis jetzt kein Wort registriert hatte, das der Mann von sich gegeben hatte:
"...es Ihnen gut? Sie sehen mitgenommen aus; ich hole Ihnen ein Glas Wasser." Der Wächter wollte aufspringen, aber Gramp dämpfte ihn mit der Hand auf der Schulter:
"Danke, es geht schon. War nur einen Moment in Gedanken. Ich bin hier, weil wir bei einer Verbrecherverfolgung auf starke Gegenwehr gestoßen sind und daher zusätzliche Ausrüstung benötigen." Der Wächter ruckte verlegen auf seinem Stuhl herum.
"Naja... Ich kann Ihnen ein paar TSS-13 aus unserem Waffenschrank geben." Der Hauptmann verdrehte ungeduldig die Augen.
"Das ist das Standardgewehr. Das haben wir schon, vielen Dank."
"Es tut mir sehr leid, aber mehr
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