Clemens Gleich
wenn ich Tips gebe, wer noch an der Sache dran ist?"
Plip, plop, war die Nachricht bei Salvin in der Redaktion. Er verzog das Gesicht zu einer sauren Miene, als er von den Extraforderungen hörte, willigte aber ein. Er schlenderte ins Sekretariat, um sich dort schöne Plätze in den drei in Frage kommenden Zügen reservieren zu lassen, schickte seinem Chef ein Memo über das Linkernetzwerk des Echos ('bin recherchieren'), dann verließ er seinen im Vergleich zu Leonards beinahe aufgeräumten Schreibtisch in Richtung Bahnhof. Kurz überlegte er, ob er diesen Penner dort treffen sollte, verwarf diese Idee jedoch wieder, weil er keine Lust dazu hatte. Noch im Redaktionstreppenhaus erreichte ihn die Nachricht, dass ein gewisser "Letterngießer" von der tapo ebenfalls an dieser Sache arbeite. Ha! Der! Der würde doch nichtmal in einem Märchenbuch eine Geschichte finden.
Der größte Fernbahnhof für Großgüter Romalas befand sich im äußersten Ring direkt an der randwärtigen Seite der dicken Stadtmauer. Die imperiale Eisenbahn mit ihren gigantischen, charakteristisch hohen, weil mehrstöckigen Zügen verließ Romala ziemlich spektakulär über Bahnbrücken, die direkt aus der Mauer entsprangen. Sie hingen wie die Fäden eines titanisches Spinnennetzes über den Slums und zeigten in alle Ecken des Imperiums. Im Inneren des Stahlgerippes von Bahnhof sah es weniger spektakulär aus. Leonard stand dort ein bisschen verlassen herum und rauchte, während er auf Garg Frumpp wartete. Warmes, gelbliches Licht beruhigte das Gemüt. Es passte perfekt zu den riesigen, komplex genieteten Metallkonstruktionen, aus denen der Bahnsteig bestand. Der Effekt wurde ein wenig zunichte gemacht durch die bunt gewürfelten Kioskreklamen der kleinen Geschäfte, die sich hier angesiedelt hatten wie Korallen, um von wartenden Fahrgästen zu leben. Ein Zug stand am Gleis und sah klein aus, denn von der Passagierplattform sah man nur das oberste Stockwerk des Zugs. Leute liefen in die Waggons, während gleichzeitig von ihnen unbemerkt in den unteren Stockwerken fieberhaft Güter ver- und entladen wurden. Leonard rauchte also im Penthouse des Bahnsteigs, als sein Informant Frumpp angehumpelt kam. Sein enthusiastischer Gang verriet seine fröhliche Stimmung. Leonard begrüßte ihn knapp, dirigierte ihm ein paar dicke Münzen zu, und kam sofort zum Geschäft:
"Welcher Zug ist es?", fragte er.
"Der hier", sagte Frumpp mit einem breiten Grinsen und zeigte auf den Zug, den Leonard schon seit zwei Zigaretten anguckte. Die ersten Passagiere stiegen schon ein.
"Danke", sagte Leonard, verabschiedete sich mit der gebotenen Mindesthöflichkeit, und bestieg ebenfalls den Zug. Beim ersten Schaffner löste er eine Fahrkarte bis zur letzten Station.
Leonard verließ den Bahnsteig in Richtung Waggon, als Salvin Huntgeburth ihn aus Richtung Stadt betrat. Suchend und schnaufend blickte sich Salvin um, dann rannte er die Treppen hinunter zu den unteren Plattformen, immer tiefer, bis ihn schließlich ein Arbeiter aufhielt:
"Ab hier nur für Personal." Salvin wedelte wild mit seinem Ausweis:
"Ich bin vom Täglichen Echo! Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu wissen, was hier unten vor sich geht!"
"Nein", sagte der Arbeiter, "hat sie nicht. Ab hier nur für Personal, es ist gefährlich für Sie und Sie behindern uns bei der Arbeit."
"Sie verstehen das nicht!", krächzte Salvin. Er schnaufte. Sein Kopf war rot. Mitgefühl packte den Arbeiter:
"Was wollen Sie denn überhaupt da unten?", fragte er.
"Na, herausfinden, ob die Wagenkolonne von den Biolabors hier verladen wird oder schon verladen worden ist!"
"Tjeeh, die fahren tatsächlich gerade ein", bestätigte der Mann fröhlich. "Ist ja kein Geheimnis."
"Dann tun Sie doch auch nicht so", schnaubte Salvin und nahm einen Aufzug nach oben in Richtung seines Sitzplatzes.
Mit einem sanften Glockenschlag öffneten sich die Aufzugtüren. Heraus traten Hauptmann Gramp und Major Palankin. Der Portier des Hotels Wellenkämmer schloss ihnen die Tatorttür auf, hinter der sie eine Gestalt in rot bereits erwartete: Laocoon.
Er trug die roten Roben, er trug das breite Visier, doch er trug beides offenbar schon sehr lange. Sein Haar war schulterlang und fast weiß, seine Haut derart wettergegerbt und faltig, dass sie wirkte wie billiges Leder. Sein Alter ließ sich schwer schätzen, doch es lag auf jeden Fall ein Stück höher als "unbestimmbar". Außerdem war er ziemlich klein.
"Ich hatte Sie größer in
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