Club Kalaschnikow
der Putzfrau. Edik konnte die Zeit ziemlich genau angeben.
»Um zwölf war meine Schicht zu Ende. Der Kollege, der mich ablöste, kam etwa zehn Minuten zu spät. Ich hab mit ihm noch etwa drei Minuten geschwatzt. Das heißt, dieses Mädchen habe ich so zwischen viertel nach und zwanzig nach zwölf gesehen.«
»Haben Sie versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen?«
»Also, ich mache grundsätzlich keine Bekanntschaften auf der Straße, aber die habe ich zum zweiten Mal vor der Bar bemerkt. Am Mittwoch hatte sie auch dort gesessen. Beim ersten Mal habe ich gedacht, sie wartet auf jemanden. Ich bin an ihr vorbeigegangen, mir ist nur aufgefallen, daß sie ungewöhnlich hübsch war. Eine richtige Schönheit, aber angezogen wie eine alte Frau oder eine Nonne. Und als ich am Donnerstag kam, saß sie wieder da. Da bin ich hingegangen und hab gefragt, Sie warten nicht zufällig auf mich? Einfach zum Scherz. Aber sie hat mich überhaupt nicht beachtet. Ich hab mich neben sie gesetzt, gefragt, brauchen Sie nicht einen Beschützer? Haben Sie keine Angst, so spätnachts, ganz allein? Sie schweigt, guckt nicht mal zu mir rüber. Ich hab gedacht, vielleicht ist sie taub oder nicht ganz bei Trost. Hätte ja sein können. Wieso wollen Sie das eigentlich alles wissen? Hat sie etwa jemanden auf dem Gewissen?«
»Ja, mich. Ich war sofort hin und weg«, sagte Kusmenko lächelnd.
»Also gut«, seufzte Untersuchungsführer Tschernow, als Kusmenko ihm vom Ergebnis seines Besuchs im »Weißen Kaninchen« berichtete, »lohnt es sich, eine Gegenüberstellung zu veranlassen? Was meinst du?«
»Was soll dabei herauskommen? Wenn die Bar am anderen Ende von Moskau läge, wenn der Kollege dieses Edik nicht zehn, sondern zwanzig Minuten zu spät gekommen wäre – dann ja. Aber so – nach null Uhr zwanzig hat sie dort niemand mehr gesehen. Sie konnte sofort losrennen, bis zur Mestschanskaja laufen und schießen. Ist doch durchaus möglich, oder?«
»Ja, möglich schon«, sagte Tschernow, »andererseits wußte sie ja nicht, wann die Kalaschnikows nach Hause kommen würden, und wenn sie den Mord schon vorher geplant hat, hätte sie sich wohl kaum vor der Bar herumgetrieben. Dann hätte sie direkt im Hof gewartet.«
»Vielleicht wollte sie ja gerade in Wartestellung gehen, und im selben Moment kamen sie schon. Sie wußte ja von der Premiere, konnte sich denken, daß es danach noch ein Essen geben würde. Die beiden haben sich ja tatsächlich früher als alle anderen verdrückt. Sag mir lieber, was hast du für ein Gefühl, war sie es oder nicht?«
»Gefühl«, wiederholte Tschernow spöttisch. »Wenn sie es nicht war, stehen wir dumm da. Aber Beweise haben wir in rauhen Mengen. Das ist mein Gefühl.«
***
»Mir war klar, Igor, daß niemand dieser armen Alten zuhören würde. Niemand interessiert sich dafür, wie immer.« Valentina Kornejewa goß ihrem Sohn und sich selbst Tee ein und schnitt ein paar Stücke von ihrem geliebten Vanillekuchen mit Rosinen ab.
In Gesprächen mit Bekannten und Kollegen beklagte sich Valentina oft darüber, daß ihr ältester Sohn Igor mit seinen vierzig Jahren immer noch unverheiratet war. Der jüngere, Schurik, hatte früh geheiratet, mit einundzwanzig, und wohnte schon lange in einer eigenen Wohnung am anderen Ende von Moskau. Bei ihm war alles in bester Ordnung, Gott sei Dank, eine kluge Frau, zwei Kinder, das dritte war unterwegs. Aber der älteste Sohn war immer noch Junggeselle und lebte bei der Mutter. Im Grunde ihrer Seele jedoch hatte Valentina schreckliche Angst, Igor könne eines Tages doch noch eine fremde Frau ins Haus bringen.
Jetzt, nachdem sie nach einer Vierundzwanzig-Stunden-Schicht nach Hause gekommen war, erholte sich Valentina allmählich von der Arbeit. Igor hatte für sie einen wunderbaren Borschtsch gekocht und ihren Lieblingskuchen gekauft. Sie hatte schon gar keine Lust mehr schlafen zu gehen, so schön war es, mit dem Sohn zusammen in der Küche zu sitzen, Tee zu trinken und sich leise zu unterhalten.
»Und deswegen überlege ich, ob ich nicht selber den Untersuchungsführer anrufen soll.« Valentina biß ein Stück von dem Kuchen ab und nahm einen Schluck Tee. »Allerdings weiß ich nicht, an wen ich mich eigentlich wenden muß. Gontschar möchte ich nicht fragen, das ist mir peinlich. Er ist noch so jung und immer in Hetze. Er würde sagen, was geht’s dich an, Valentina? Die Frau redet irre, und du spitzt auch noch die Ohren. Steck deine Nase nicht ungebeten in fremde
Weitere Kostenlose Bücher