Cocoon, Band 01
erwischt?«
Als ich seinen beiläufigen Tonfall höre, komme ich mir fast dumm vor, weil ich auf sie gehört habe.
»Warum entführe ich dich wohl heute Abend?«, fragt er ganz offen.
In meinem Kopf hallt Enoras Warnung über seine möglichen Absichten nach. »Ich bin mir nicht sicher.«
»Weil Maela zu beschäftigt ist, um etwas zu merken, und der Rest inzwischen zu betrunken, um dich im Auge zu behalten.«
»Dann stimmt es also?«, frage ich atemlos. »Ich stehe immer noch unter Beobachtung?«
»Natürlich«, antwortet er. »Wir stehen alle unter Beobachtung, aber in Nächten wie dieser sind die Sicherheitsleute damit beschäftigt, aufzupassen, dass die Webjungfern die Reinheitsgebote nicht missachten. Ich habe ihnen gesagt, dass ich auf dich achte.«
Und da haben wir noch einen Grund, weshalb ich nicht mit ihm zusammen hier sein sollte.
»Wo gehen wir eigentlich hin?«, frage ich, als er mich einen weiteren verlassenen Korridor entlangführt.
»Hier sind wir.« Er lässt meine Hand los und stößt theatralisch zwei große Holztürflügel vor mir auf.
Der Mond überzieht die Blumen mit silbrigem Licht und glitzert auf dem gepflasterten Weg zum Herzen des Gartens, den ich auch an jenem Tag, als ich zum ersten Mal zum Unterricht geführt wurde, beschritten habe. Seit ich hier angekommen bin, war ich kaum draußen, und wenn, dann nur unter strenger Überwachung. Erik aber ist alles andere als eine Anstandsdame.
Er reicht mir den Arm und führt mich in die Mitte der Anlage. »Möchtest du mit mir tanzen, fern der neugierigen Blicke?«
Obwohl keine Musik erklingt, führt er mich in einen eleganten Walzer. Im schwachen Sternenlicht schimmern seine blonden Haare, es wirkt, als wäre er ein Teil der kühlen Nacht.
»Du hast mich noch nicht gefragt, warum ich das tue«, flüstert er mir ins Ohr.
Ich muss schlucken und gegen das wilde Pochen in meinem Hals ankämpfen, bevor ich sprechen kann. »Sagst du mir die Wahrheit?«
»Vielleicht«, erwidert er. »Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob man einer Frau jemals die Wahrheit sagen darf.«
»Das wirst du erst herausbekommen, wenn du es probierst«, wende ich ein.
»Na schön, ich mag kluge Mädchen«, erklärt er mir. »Und wenn ein kluges Mädchen dann auch noch atemberaubend aussieht – wie könnte ich da widerstehen?«
Ich lege den Kopf an seine Schulter, damit er mir nicht ansieht, wie sehr mir seine Worte gefallen, auch wenn sie wahrscheinlich gelogen sind.
»Bist du deshalb mit Maela zusammen?«, frage ich, ohne ihm das Gesicht zuzuwenden.
Er schnaubt. »Die Frau weiß einfach nicht, wann sie loslassen muss.«
»Du hast nicht … « Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine klare Antwort darauf will, selbst wenn er sie mir geben würde.
»Sie hat nie verstanden, wie es läuft«, sagt er. »Sie ist nicht so schlau wie du.«
Mir fällt Enoras Warnung wieder ein, und ich versuche, von ihm abzurücken. »Erik, Maela hat mich ohnehin schon auf dem Kieker. Wir müssen es nicht noch schlimmer machen.«
»Denk daran, dass sie auch mich in der Hand hat.« Einen Moment lang klingt er aufrichtig, doch dann kehrt sein arroganter Tonfall zurück. »Wir bekommen wahrscheinlich nie wieder so eine Gelegenheit.« Doch trotz der fordernden Haltung verbirgt sich leise Furcht in seinem Blick, und sie wirkt vertraut. Sie erinnert mich an den Blick meines Vaters, als er mich in den Tunnel gezogen hat. Beim Gedanken daran, wie leicht einem Menschen entgleiten können, klammere ich mich wieder etwas fester an Erik.
»Es spielt keine Rolle. Jetzt haben wir vielleicht ein bisschen Spaß, aber dann findet Maela es heraus und tut einem von uns oder sogar uns beiden etwas Schlimmes an, und wofür das Ganze?« Ich löse mich aus Eriks Umarmung. »Wir haben keine gemeinsame Zukunft.«
»Hör mal, du kannst bei allen anderen die Unschuldige spielen, aber nicht bei mir.« Er spricht leise, aber eindringlich. »Ich weiß, dass Maela dich beobachtet. Sie hält dich für gefährlich, was bedeutet, dass du es auch bist.«
»Maela hält sich für den Nabel der Welt. Ich würde nicht allzu viel auf ihre Meinung geben.«
»Sie hat Angst vor dir«, sagt er.
»Warum? Ich stelle für sie kein Problem mehr dar.«
»Keine Ahnung.« Erik seufzt. Ganz offensichtlich hat er geglaubt, ich würde mich mehr öffnen. »Es muss an etwas liegen, das während deiner Prüfung geschehen ist. Seit du im Konvent bist, hat sie sich verändert.«
»Ach, davor war sie also keine Psychopathin?«
Erik
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