Colin Cotterill
Leute einfach etwas aus, damit es ihnen nicht gar zu langweilig wird.«
»Sie wol en mir doch nicht ernsthaft weismachen, der Mageninhalt, den Sie mir zum Frühstück mitgebracht haben, hätte nichts damit zu tun, dass…«
»Meine liebe Oum. Wenn Sie mir versprechen, diese Frage nicht zu stel en, verspreche ich Ihnen, Sie nicht zu belügen.«
»Geschenkt. Machen wir uns an die Arbeit. In unserem Zauberbuch gibt es drei Farbtests für Zyanid. Für zwei davon habe ich die nötigen Chemikalien.«
Siri holte zwei Plastikfilmdosen aus seiner Tasche.
»Ich habe auch ihren Urin und ihr Blut dabei, wir müssen also jeden Test mit drei Proben durchführen.«
»Gut. Sie haben nicht zufäl ig noch andere Körperteile der Genossin in Ihrem Täschchen?«
Sein Versuch, ihr einen wütenden Blick zuzuwerfen, geriet wenig überzeugend.
»Oum. Sol te sich mein Verdacht bestätigen, wäre es von Vorteil, wenn möglichst wenige Leute davon erführen. Haben wir uns verstanden?«
»Ja. Doch. Wirklich. Keine Sorge.«
Als Siri in die Pathologie zurückkam, war es Mittag. Tante Lah hatte ihre Baguettes bereits verkauft und war nach Hause gegangen, aber Herr Geung hatte Siris Mittagessen netterweise abgeholt und es ihm auf den Schreibtisch gelegt. Da er das Büro verlassen vorfand, ging er zum Fluss hinunter, setzte sich al ein auf seinen Baumstamm, aß und dachte nach. Plötzlich hörte er zu seinem Erstaunen Herrn Geungs Stimme hinter sich.
»Dtui. Sie… sie ist nach Hause gegangen.« Siri drehte sich um. Sein Laborassistent beugte sich wie ein Lehrer über ihn und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Siris Nase.
»Ach, hal o, Herr Geung. Danke, dass Sie mein Mittag…«
»Sie waren sehr böse.«
»Was?«
»Sie waren sehr, sehr, sehr böse.«
»Was habe ich denn getan?« Er war aus irgendeinem Grund nervös.
»Sie ist kein… kein… Schwachkopf. Sie ist ein nettes Mädchen.«
»Ich…«
»Es war sehr b-b-b-böse, so etwas zu ihr zu sagen.«
Siri rief sich seine Worte ins Gedächtnis. Es war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie sich dadurch gekränkt fühlen könnte. Er hatte sie sozusagen für unkränkbar gehalten. »Was haben Sie gesagt? Sie ist nach Hause gegangen?« »Ja.«
»Aber sie ist doch noch nie zum Mittagessen nach Hause gegangen.
Außerdem hatte ich ihr Fahrrad.«
»Sie ist nach Hause gegangen, weil sie traurig ist. Sie haben sie traurig gemacht.«
»Ich…«
Aber Geung war fertig. Er machte kehrt und ging zurück zur Klinik.
»Herr Geung?«
Er sah sich nicht noch einmal um.
Siri hatte Dtui noch nie zu Hause besucht. Ihre Hütte lag versteckt hinter dem Nationalstadion, in einer Barackensiedlung, die man für die Menschen errichtet hatte, die aus dem Norden gekommen waren, um beim Wiederaufbau des Landes zu helfen. Die Notunterkünfte waren als Übergangslösung gedacht, doch auch nach fast einem Jahr hatte noch niemand eine Wohnung zugewiesen bekommen. Die neuen Vorortsiedlungen waren altgedienten Parteikadern Vorbehalten. Die kleinen Rädchen mussten warten.
Da er weder einen Straßennamen noch eine Hausnummer hatte, brauchte er eine Weile, um Dtuis Schuppen zu finden. Letzterer bestand aus einem mit Bananenlaub bespannten Bambusgerüst, mit Lücken an den Ecken und zwischen den Blättern. Laotische Handwerker waren wahre Meister in der Kunst, ein Provisorium provisorisch aussehen zu lassen. Am einen Ende der Hüttenreihe befand sich ein Gemeinschaftsbad mit Toilette.
Auf zwei in der Raummitte ausgebreiteten Matratzen lagen zwei dicke Frauen.
Eine davon war Dtui. Sie las eine thailändische Zeitschrift.
»Ich störe hoffentlich nicht.«
Dtui und ihre Mutter hoben erstaunt den Kopf, als der Doktor in der Tür erschien, aber nur Dtui sprang auf. Es war ihr anscheinend peinlich, dass Siri sah, in welchen Verhältnissen sie lebte. Sie sagte zunächst nichts, vermutlich weil sie annahm, dass ihr Chef sie wegen ihrer unerlaubten Entfernung von der Truppe tadeln wol te. Aber der schwieg.
»Mutter, das ist Doktor Siri.«
Die alte Dame war lethargisch und hatte Mühe, ihn zu erkennen. Sie konnte sich offenbar kaum rühren. »Wohlsein, Doktor. Entschuldigen Sie, dass ich nicht aufstehen kann.«
»Mama hat Zirrhose. Ich habe Ihnen davon erzählt.«
»Ja. Wohlsein, Frau Vongheuan.« Zwar war ihm nicht ganz wohl dabei, einer Frau, die al es andere als gesund war, Gesundheit zu wünschen, aber so lautete nun einmal der nationale Gruß. Die Frau litt seit Jahren an einem Leberegel, den
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