Colin Cotterill

nach einem Wort. Er wusste, dass es da war. Er hatte es vor fast fünfzig Jahren dort abgelegt und keinen Grund gehabt, es auszumustern.
    Aber er konnte es einfach nicht finden.
    Ein Riss in der Brustarterie kann zum Beispiel von einem Frontalzusammenstoß oder précipitation herrühren. Was, zum Teufel, hieß précipitation?
    Seit dem Taifun im letzten Jahr waren die Seiten seines Französischwörterbuchs fest verschweißt, und ein neues hatte er bislang nicht auftreiben können.
    »Nur die Ruhe«, sagte er. Er lehnte sich so weit wie möglich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Nur die Ruhe.« Er sah zur Tür und erblickte zu seinem Erstaunen ein dürres Männlein in einer viel zu großen Uniform. Die Uniform kannte er nur zu gut, es war die der früheren Nord-und jetzt gesamtvietnamesischen Armee. Aber er konnte sich nicht entsinnen, sie je an einer so schmächtigen Person gesehen zu haben. Sie erinnerte ihn an die
    Monsteranzüge
    aus
    Gummi,
    die
    er
    aus
    japanischen
    Science-Fiction-Filmen kannte. Der Hals des Mannes ragte aus einem Kragen, in dem bequem drei weitere Hälse Platz gefunden hätten. Der Rest der Uniform baumelte an ihm, als hinge sie an einem Haken. Er sprach Siri auf Vietnamesisch an.
    »Ich suche Dr. Siri Paiboun.«
    Siri sprach zwar al es andere als akzentfrei, dafür aber fließend Vietnamesisch. Er hatte fünfzehn Jahre im Norden des Landes zugebracht, wo er zunächst zum Revolutionär hatte ausgebildet werden sol en. Als sich dann heraustel te, dass ihm das Zeug zum Guerril ero fehlte, hatte man ihn in den Lazaretten des Vietcong als Feldarzt eingesetzt.
    »Sie haben mich gefunden.«
    Der Mann lächelte erleichtert und trat schüchtern an den Tisch. Er gab Siri die Hand und errötete. »Bitte entschuldigen Sie die…« Verlegen blickte er an sich hinunter.
    »Die Uniform? Haben Sie eine Wette verloren?«

    Der Vietnamese lachte. »Nein. In der Botschaft gab es keine andere.«
    »Und warum tragen Sie sie dann?«
    »Ich bin als militärischer Berater hier. Der Botschafter meinte, wenn ich in Zivilkleidung herumliefe, könnte ich theoretisch als Spion erschossen werden.« Siri lachte. Die Geschichte war noch ulkiger als die Uniform. »Ich bin Doktor Nguyen Hong.«
    Siri wies auf den Stuhl ihm gegenüber. »Dann machen Sie es sich bequem, und verraten Sie mir, was ich für Sie tun kann.«
    Nguyen Hong nahm lächelnd Platz. »Wenn mich nicht al es täuscht, wurde hier diese Woche ein mutmaßliches Ertrinkungsopfer eingeliefert.«
    »Aha. Der Zwil ing. Sie sind Forensiker.«
    »Nein, nur ein alter Pathologe.«
    In der Tür hatte er gar nicht so alt ausgesehen, aber aus der Nähe bemerkte Siri, dass seine Haare etwas zu schwarz und seine Zähne für den Mund etwas zu groß waren. Er war vermutlich genauso alt wie Siri, hatte aber schon die eine oder andere Generalüberholung hinter sich.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ehrlich gesagt, würde ich mir Ihr Opfer gern mal ansehen. Ich hätte natürlich auch den Dienstweg einhalten können, aber ich ziehe das direkte Gespräch vor.«
    »Ich auch.«
    »Gut. Es besteht Grund zu der Annahme, dass auch Ihr Mann Vietnamese ist.
    Aber da ihm die entsprechenden Tätowierungen fehlten, mussten wir Ihnen den Leichnam überlassen. Sie ahnen ja gar nicht, was das in Hanoi für einen Wirbel ausgelöst hat.«
    »Was denn für einen Wirbel?«
    »Es geht das Gerücht, dass unsere Mitbürger entführt und gefoltert wurden.
    Die Behörden möchten dringend wissen, ob es sich um eine offiziel e Aktion gehandelt hat.«
    »Warum sol te es sich um eine offiziel e Aktion gehandelt haben? Es könnte genauso gut eine Drogengeschichte oder…«

    »Wir haben unseren Mann identifiziert. Er war ein Regierungsvertreter, Nguyen Van Tran. Er gehörte einer Delegation an, die verschwand, kurz nachdem sie in Nam Phao die laotische Grenze überquert hatte. Sie wol te nach Vientiane, ist aber nie hier angekommen. Ihre Mission war streng geheim.«
    »Wie viele Mitglieder hatte die Delegation?«
    »Drei. Zwei Beamte und ein Fahrer.«
    »Und Sie haben Ihren Mann anhand der Tätowierungen identifiziert?«
    »Nein, wir haben Fingerabdrücke und zahnärztliche Unterlagen. Und einen Ring.«
    »Er trug noch einen Ring?«
    »Ja. Auf der Innenseite war der Name seines Vaters eingraviert. In seiner Militärakte stand nichts von Tätowierungen, sie müssen also aus der Zeit nach seiner Entlassung stammen.«
    »Haben Sie die Unterlagen al er drei Männer?«
    Nguyen Hong