Collection Baccara Band 0250
schwer, ihre Gefühle zu zügeln und nicht in Tränen auszubrechen. Alex sollte nicht glauben, dass sie ihn damit beeinflussen wollte. „Du sagst“, fuhr sie sanft fort, „du wüsstest nicht mehr, wer du bist. Wie ist das denn überhaupt möglich?“
Er ignorierte sie weiterhin eisern.
„Du bist ein unbeschreiblich starker Mensch, Alex. Du bist und bleibst derselbe Mensch, und das hat nichts damit zu tun, was man dir über deine Herkunft erzählt hat. Du bist in dem Glauben aufgewachsen, Josephs Sohn und nicht sein Enkel zu sein. Jetzt kennst du die Wahrheit, aber wie sollte dich das verändern? Du bist derselbe wundervolle, kluge und tüchtige Mann wie vorher.“
Sie sah, dass in seiner Wange ein Muskel zuckte. Vielleicht kam sie endlich voran, doch im nächsten Moment stellte er das Radio an.
Am liebsten hätte sie es sofort wieder ausgeschaltet. Da sie sich jedoch schon dem Krankenhaus näherten, vermied sie jede weitere Verstimmung. Schließlich wollte sie nicht riskieren, dass Alex sie wegschickte, weil sie ihm dann gar nicht hätte helfen können.
Es war schon dunkel, als sie das Zentrum von Dependable erreichten. Auf der Main Street hingen schöne altmodische Lampen an Masten. In gleichmäßigen Abständen schmückten Hängepflanzen die Straße. Der Bürgermeister von Dependable hatte allen Grund, stolz auf die Stadt zu sein. Madeline bereute, ihm das während des Interviews nicht gesagt zu haben. Sie hatte jedoch so gut wie nicht zugehört, was er zu sagen hatte. In den letzten Tagen war kaum etwas normal gelaufen.
Auf dem Parkplatz des Krankenhauses wies Alex auf die runde Zufahrt, die für Patienten vorgesehen war. „Du kannst dort halten und mich aussteigen lassen“, sagte er rau. „Mach dir nicht die Mühe zu parken.“
Er sprach zwar nicht aus, dass sie nicht bleiben sollte, doch es war klar, was er meinte. Madeline widersprach nicht, hatte aber auch nicht die Absicht, sich an seine Anweisungen zu halten. Er wartete auf eine Antwort, doch sie hatte von ihm gerade gelernt, wie man jemanden ignoriert.
Sie hielt in der Zufahrt genau vor den Glastüren des Krankenhauses. Alex brauchte noch nicht zu merken, dass sie ihn nur aussteigen ließ und danach parken und ihm folgen wollte.
Beim Anblick des Krankenhauses fiel ihr ein, dass sie Dan anrufen und sich nach seinem Sohn erkundigen musste. Wahrscheinlich lag die Diagnose schon vor.
Sobald der Wagen stand, stieg Alex aus. Bevor er die Tür schloss, sah Madeline noch kurz sein Gesicht. Er brauchte sie, weil er Angst um Joseph hatte.
Sie war fest entschlossen, für ihn da zu sein.
Hinter Alex schloss sich die Tür des Krankenzimmers. Er lehnte sich gegen das kühle Holz und holte tief Atem. Das Deckenlicht war ausgeschaltet. Nur die Lampe am Bett erleuchtete schwach das blasse Gesicht des Patienten.
Es traf Alex, den immer kraftvollen Mann, der ihn großgezogen hatte, in diesem Bett zu sehen. Joseph schlief in annähernd sitzender Haltung.
Die Prognose der Ärzte war günstig ausgefallen. Von Helen und seinen Halbbrüdern, die sich alle im Wartezimmer versammelt hatten, wusste er schon, dass Joseph blass und kraftlos war. Trotzdem hatte er sich nicht vorgestellt, dass Joseph so alt und erschöpft aussehen könnte.
Nun kam auch noch dazu, dass Alex in Joseph nicht mehr einen energiegeladenen Mann sah, der in vorgerücktem Alter noch ein Kind in die Welt gesetzt hatte. Joseph war sein Großvater.
Doch Vater oder Großvater, Vorbild an Moral oder Lügner – das alles spielte keine Rolle. Joseph bedeutete ihm unbeschreiblich viel. Alex lehnte sich gegen die Tür und bekam kaum Luft.
„Ich bin noch nicht tot.“ Josephs Stimme dröhnte nicht wie sonst, klang jedoch nicht so schwach, wie er aussah.
Alex stieß sich von der Tür ab. „Ich weiß, und darüber bin ich auch sehr froh.“
„Dann solltest du nicht seufzen, sondern lieber einen Freudentanz aufführen.“
Alex atmete erleichtert auf. Joseph hatte immer erklärt, falls er einmal seinen Humor verlieren sollte, wäre er sicher tot. Dass er noch Humor hatte, war ein Zeichen dafür, dass er sich erholen würde.
Alex lachte leise und ging näher ans Bett heran. „Ich wurde nicht in Freudentänzen ausgebildet.“
„Dann habe ich bei dir versagt, mein Sohn.“
„Enkel“, verbesserte Alex.
„Du bist das Kind meines Herzens“, beteuerte Joseph. „Alles andere zählt nicht.“
Liebend gern hätte Alex sich von diesen Worten trösten lassen, doch die Lügen verhinderten es.
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