Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
In einem Land, wo das Gesetz sich instinktiv vor dem Geld prostituiert, hätte ich weiter nichts bewirkt, als den geballten Groll der Verwaltung zu wecken.
Als nächstes, wie immer, wenn mir wieder einmal klar wird, was für ein volltrottliger Pechvogel ich doch bin, der sich selbst das letzte Wort noch wegnehmen läßt, habe ich erwogen, meine Dienstmarke zurückzugeben und zu Mina und den Kindern nach Bejaia zu fahren, wo mein Bruder sie seit sechs Monaten aus Sicherheitsgründen unter Verschluß hält.
Ich kann mir noch so sehr einreden, daß die Anständigen es sich schuldig sind, sich nicht entmutigen zu lassen, weil das Schicksal der Nation von ihrer Ausdauer abhängt, der allmächtigen Hydra die Stirn zu bieten. Ich kann noch so sehr davon träumen, daß eines Tages die Gerechtigkeit über Korruption und Klüngel siegen wird. Ich kann noch so sehr glauben, daß am Himmel unter Milliarden von Sternen einer nur für mich leuchtet, einer, der schöner ist als sämtliche Galaxien. Die Selbstgewißheit, die Typen vom Schlag eines Dahmane Faid demonstrieren, raubt mir am Ende jede Energie.
Ich habe Lino gebeten, mit mir eine kleine Spazierfahrt längs der Küste zu machen. Das Mittelmeer ist von unschätzbarem therapeutischen Wert, der Leutnant jedoch von derart entnervender Redseligkeit, daß er selbst die Brüder Barbarossa [ * zwei türkische Seeräuber, im 16. Jahrhundert Herrscher über Algier] zur Weißglut gebracht hätte. Zuletzt, als ich schon fürchten muß, daß mich an der nächsten Kurve der Schlag trifft, bitte ich meinen Kollegen, mich ans Steuer zu lassen und die Fliege zu machen.
»Und wie komme ich nach Hause?« protestiert Lino vom Gehweg aus. »Zu Fuß.«
»Ist ‘ne heiße Gegend hier, Kommy.«
»Na gut, dann kommst du eben mit den Füßen voran zu Hause an.« Ich gebe Gas und fahre los, ohne mich noch einmal umzusehen.
Auf der Straße, die im Sonnenlicht glänzt, sehe ich Bauern, die sich auf ihren Feldern abrackern, Fernfahrer, die ihr Lenkrad fest in beiden Händen halten, Frauen, die ohne Zeitgefühl auf einen Bus warten, Kinder, die zur Schule trippeln, Müßiggänger, die auf den Terrassen der Cafés meditieren, Greise, die am Fuß von Bretterzäunen vegetieren. Und in ihren Gesichtern habe ich trotz der drückenden Ungewißheit, trotz der düsteren Tragödie, die die Nation heimsucht, eine erstaunliche Heiterkeit entdeckt - den Glauben eines gutmütigen, großzügigen Volkes, das noch sein letztes Hemd hingibt, das so demütig ist, daß es die Verachtung derer weckt, die nichts von den Worten der Propheten begriffen haben. Und nur wegen ihres Blicks, wegen ihrer Langmut, die schon an Fatalismus grenzt, wegen ihrer Würde, die noch durch die dunkelsten Flecken ihres Unglücks durchscheint, habe ich das Lenkrad mitten in der Fahrt herumgerissen, bin zur Küstenstraße zurückgefahren und habe Lino wieder an Bord genommen.
10
Es ist Punkt eins, als ich vor dem Haus Nummer 5 in der Rue Mosbahi ankomme, mit der Zentnerlast von Sid Alis Sandwich im Magen. Eine Schar faunsgesichtiger Kinder stiebt zappelnd und lärmend vor meiner Motorhaube auseinander, spürbar geschockt von dem neuerlichen Gemetzel, das da ihr Elend überschattet. Polizeiwagen verstopfen die engen Windungen der Gasse, während ein Schwarm vermummter Ninjas [ algerische Spezialeinheit zur Terroristenbekämpfung] auf den Nachbardächern Stellung bezieht. Der unvermeidliche Bliss erwartet mich bereits am Eingang zum Innenhof, seine Nase in ein Taschentuch gepreßt.
»Halt schon mal deine Gasmaske bereit, Llob!« ruft er mir mit Hämorrhoidalstimme entgegen. »Stinkt zum Himmel da drinnen!«
»Würde mir schon reichen, wenn du das Feld räumen würdest.«
»Ich bin doch kein Iltis.«
»Du stellst eine Bedrohung für die Ozonschicht dar.«
Lino wiehert hämisch hinter mir los. Bliss zieht es vor, den Klügeren zu spielen, und läßt uns an sich vorbei.
Wir gelangen in einen kleinen Innenhof voll Schotter und Scherben. Ben Hamid, der Kneipier, baumelt in Unterhosen an einem Zitronenbaum. Er ist an den Handgelenken gefesselt und hat einen dicken Wischlappen im Mund. Seine Fußsohlen sind verkohlt, darunter vermittelt ein Aschehaufen eine Ahnung von den heiklen Momenten, die er auf seinem Weg ins Jenseits hinter sich gebracht hat.
»Die Frau ist im Haus«, informiert Leutnant Charter mich.
Wir kommen durch ein verlottertes Wohnzimmer, in dem drei Feldbetten um einen kleinen gedrechselten Tisch herum stehen.
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