Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
etwas sagen.«
»Aha. Und warum kommen Sie dann mit? Ich hätte doch
allein hinfahren können.«
»Ich begleite Sie, damit Sie keine Zeit verlieren und man
Ihnen keine Steine in den Weg legt. Die sind mit ihrer
erhabenen Intelligenz auch noch imstande, das Gespräch zu
verhindern.«
Vor dem Kliniktor stand ein Panzerwagen, ein Dutzend
Beamte waren in dem kleinen Garten verteilt, die
Maschinenpistolen im Anschlag.
»Idioten«, schimpfte der Questore.
Mit wachsender Nervosität brachten sie mindestens fünf
Kontrollen hinter sich und gelangten schließlich in den Flur,
auf dem Tanos Zimmer lag. Sämtliche Patienten waren unter
Verwünschungen und Flüchen evakuiert worden. An den
beiden Enden des Flurs standen vier bewaffnete Polizisten,
weitere zwei an der Tür, hinter der offenbar Tano lag. Der
Questore zeigte seinen Passierschein.
»Kompliment«, sagte er zu dem Posten.
»Wofür, Signor Questore?«
»Für die Sicherheitsvorkehrungen.«
»Danke«, strahlte der Beamte, der Spott des Questore war
völlig an ihm vorübergegangen.
»Gehen Sie allein rein, ich warte draußen.«
Erst da merkte der Questore, daß Montalbanos Gesicht
ganz fahl war, die Stirn schweißnaß.
»Oddio, Montalbano, was ist mit Ihnen? Fühlen Sie sich
nicht gut?«
»Es geht mir ausgezeichnet«, antwortete der Commissario
gepreßt.
Aber das war eine Lüge, es ging ihm miserabel. Tote
ließen ihn völlig kalt, er konnte mit ihnen in einem Zimmer
schlafen, so tun, als teile er sein Brot oder spiele tresette und
briscola mit ihnen, sie beeindruckten ihn überhaupt nicht, aber
wenn jemand im Sterben lag, dann brach ihm der Schweiß aus,
seine Hände begannen zu zittern, es wurde ihm eiskalt, sein
Magen fühlte sich an wie durchbohrt.
Unter dem Leintuch, mit dem er zugedeckt war, kam ihm
Tanos Körper verkürzt vor, kleiner als er ihn in Erinnerung
hatte. Seine Arme lagen an der Seite, der rechte war dick
verbunden. Aus der Nase, die fast durchscheinend war, kamen
dünne Sauerstoffschläuche heraus, das Gesicht wirkte
künstlich wie das einer Wachspuppe. Der Commissario wäre
am liebsten auf und davon, aber er nahm sich zusammen, holte
einen Stuhl und setzte sich neben den Sterbenden, der die
Augen geschlossen hielt, als schliefe er.
»Tano? Tano! Ich bin's, Commissario Montalbano.«
Der andere reagierte sofort, riß die Augen auf, machte
Anstalten, sich halb im Bett aufzusetzen, wie ein schon lange
gehetztes Tier, das instinktiv hochschnellt. Dann heftete er
seinen Blick auf den Commissario, und die Spannung in
seinem Körper ließ spürbar nach.
»Sie wollten mich sprechen?«
Tano nickte und deutete ein Lächeln an. Er sprach
schleppend, mit großer Mühe.
»Jetzt haben sie mich also doch noch von der Straße
abgedrängt.«
Er bezog sich auf das Gespräch in dem kleinen Haus, und
Montalbano wußte nicht, was er sagen sollte.
»Kommen Sie näher.«
Montalbano erhob sich von seinem Stuhl und beugte sich
über ihn.
»Noch näher.«
Der Commissario neigte sich so weit hinunter, daß er mit
seinem Ohr Tanos Mund berührte; sein scharfer Atem flößte
ihm Ekel ein. Und dann sagte Tano ihm mit klarem Verstand
und sehr genau, was er ihm zu sagen hatte. Doch das Sprechen
hatte ihn angestrengt, er schloß die Augen wieder, und
Montalbano wußte nicht, was er tun sollte, ob er gehen oder
noch eine Weile bleiben sollte. Er beschloß, sich wieder
hinzusetzen, und Tano sagte mit belegter Stimme noch etwas.
Der Commissario stand wieder auf und beugte sich über den
Sterbenden.
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich habe Angst.«
Er fürchtete sich, und jetzt, in diesem Zustand, hatte er
keine Scheu, es zu sagen. War das Mitleid, diese plötzliche
Welle von Wärme, dieser Stich im Herzen, dieses quälende
Gefühl? Montalbano legte Tano eine Hand auf die Stirn, das
Du kam ihm diesmal ganz spontan über die Lippen.
»Du brauchst dich nicht zu schämen. Auch das macht
dich zum Mann. Wir alle haben Angst, wenn es soweit ist. Leb
wohl, Tano.«
Er ging schnell hinaus und schloß die Tür hinter sich.
Jetzt standen außer dem Questore und den Beamten auch De
Dominicis und Sciacchitano auf dem Flur. Sie liefen ihm
entgegen.
»Was hat er gesagt?« fragte De Dominicis begierig.
»Nichts, er konnte mir nichts mehr sagen. Er wollte
offenbar, aber er hat es nicht geschafft. Er stirbt.«
»Na ja«, meinte Sciacchitano zweifelnd.
Ganz ruhig legte Montalbano ihm eine Hand auf die Brust
und stieß
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