Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde
gefräßiges Leckermaul. Bei dieser Erinnerung wollte ihn schon Rührung überkommen, doch der gebot er mithilfe von etwas Whisky pur verwegen Einhalt. Er machte sich fertig, um schlafen zu gehen. Aber vorher wollte er noch etwas zum Lesen heraussuchen. Er konnte sich nicht entscheiden zwischen dem letzten Buch von Tabucchi und einem alten Roman von Simenon, den er nie gelesen hatte. Er streckte die Hand gerade nach Tabucchi aus, als das Telefon klingelte. Drangehen oder nicht drangehen, das ist die Frage. Er schämte sich dermaßen für diesen Schwachsinn, dass er entschied dranzugehen, auch wenn er sich dann wieder furchtbar ärgern musste. »Störe ich, Salvo? Hier ist Mimì.«
»Gar nicht.«
»Warst du auf dem Weg ins Bett?«
»Na ja, schon.«
»Bist du allein?«
»Wer soll denn hier sein?«
»Hast du fünf Minuten Zeit für mich?«
»Klar, red schon.«
»Nicht am Telefon.«
»Gut, dann komm.«
Mimì wollte bestimmt nichts Dienstliches mit ihm be sprechen. Was dann? Was für Probleme konnte er haben? Hatte er sich vielleicht mit Beatrice gestritten? Ein böser Gedanke kam ihm: Wenn es sich um einen Krach mit seiner Braut handelte, würde er ihm sagen, er solle Livia anrufen. Verstanden er und Livia sich nicht wunderbar? Es klingelte an der Tür. Wer konnte das so spät sein? Mimi sicher nicht, denn von Vigàta nach Marinella brauchte man mindestens zehn Minuten. »Wer ist da?«
»Ich bin's, Mimi.«
Wie hatte er denn das gemacht? Dann begriff er. Mimi musste schon in der Nähe gewesen sein und hatte ihn mit dem Handy angerufen. Er öffnete, Augello kam herein, er sah blass und müde aus, ganz elend.
»Bist du krank?«, fragte Montalbano erschrocken.
»Jein.«
»Verdammt, was heißt >jein«
»Ich erklär's dir gleich. Kann ich einen Schluck Whisky ohne Eis haben?«, fragte Augello und setzte sich auf einen Stuhl am Tisch.
Der Commissario schenkte gerade den Whisky ein, als er plötzlich innehielt. Hatten er und Mimi genau die gleiche Szene nicht schon mal gehabt? Hatten sie nicht fast die gleichen Worte benutzt?
Augello leerte das Glas auf einen Zug, stand auf, holte sich noch mal Whisky und setzte sich wieder.
»Gesundheitlich geht's mir gut«, sagte er. »Das ist nicht das Problem.«
Das Problem ist, in der Politik, in der Wirtschaft, im Öffentlichen und im Privaten, seit einiger Zeit immer etwas anders, dachte Montalbano. Einer sagt: Es gibt zu viele Arbeitslose, und der Politiker, der gerade dran ist, antwortet: Wissen Sie, das ist nicht das Problem. Ein Mann fragt seine Frau: Stimmt es, dass du fremdgegangen bist?, und sie antwortet: Das ist nicht das Problem. Aber da er sich jetzt wieder genau an die Vorlage erinnern konnte, sagte er zu Mimi:
»Du willst nicht mehr heiraten.« Mimi sah ihn verdattert an. »Woher weißt du das?«
»Von niemandem, ich sehe es an deinen Augen, deinem Gesicht, deinem ganzen Ausdruck.«
»Es stimmt nicht genau. Die Angelegenheit ist komplexer.«
Die Komplexität der Angelegenheit durfte nicht fehlen, wenn das Problem schon ein anderes gewesen war. Was kam jetzt, dass die Sache geplatzt war oder das Gespräch fortgesetzt werden musste?
»Fakt ist«, fuhr Augello fort, »dass ich Beba furchtbar lieb habe, es macht mir Spaß, mit ihr zu schlafen, ich mag es, wie sie denkt, wie sie redet, wie sie sich kleidet, wie sie kocht…«
»Aber?«, unterbrach Montalbano ihn absic htlich. Mimi befand sich auf einem langen und anstrengenden Weg: Die Liste der Eigenschaften einer Frau, in die ein Mann verliebt ist, könnte unerschöpflich sein, wie die Namen des Herrn.
»Aber ich möchte sie nicht heiraten.« Montalbano sagte kein Wort, es gab bestimmt eine Fortsetzung.
»Besser gesagt, ich möchte sie schon heiraten, aber.« Die Fortsetzung war gefolgt, aber sie hatte wiederum eine Fortsetzung.
»In manchen Nächten zähle ich die Stunden, die mich von der Hochzeit trennen.« Gequälte Pause.
»Und in manchen Nächten würde ich am liebsten das nächstbeste Flugzeug nehmen und nach Burkina Faso abhauen.«
»Gibt's hier öfter Flüge nach Burkina Faso?«, fragte Montalbano mit Unschuldsmiene. Mimi sprang auf, rot im Gesicht.
»Ich gehe. Ich bin doch nicht gekommen, um mich verarschen zu lassen.«
Montalbano drängte ihn, zu bleiben und zu reden. Und Mimi setzte zu einem langen Monolog an. Die Sache sei die, erklärte er, dass eine Nacht ein Hasen- und die Nacht darauf ein Löwenherz in ihm schlage. Er fühle sich gespalten, mal habe er
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