Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres
Marokko gehören dazu und die aus Algerien, der Türkei, dem Irak, aus Bangladesh und anderen Ländern. Ist die Situation klar?«
»Vollkommen. Alter?«
»Sofort.«
Er zog einen Zettel aus der Tasche, überflog ihn und steckte ihn wieder ein.
»200 zwischen null und sechs Jahren, 1316 zwischen sieben und vierzehn, 995 Fünfzehnjährige, 2018 Sechzehn- und 3924 Siebzehnjährige«, trug er vor.
Er sah den Commissario an und seufzte.
»Aber das sind nur die Daten, die wir kennen. Wir wissen mit Sicherheit, dass Hunderte dieser Kinder verschwinden, wenn sie erst mal im Land sind.«
»Und was wird aus ihnen?«
»Commissario, sie werden von kriminellen Banden eingeschleust. Diese Kinder sind sehr viel wert. Auch als Exportware.«
»Wofür?«
Sozio Melato schien erstaunt.
»Das fragen ausgerechnet Sie? Ein Staatsanwalt aus Triest hat kürzlich eine Unmenge abgehörter Telefongespräche erfasst, in denen vom Ein- und Verkauf von Ausländerkindern zur Organentnahme die Rede war. Es gibt sehr viele Anfragen für Transplantationen, und sie nehmen ständig zu. Andere Minderjährige werden Pädophilen zur Verfügung gestellt. Sie müssen bedenken, dass mit einem solchen Kind, das allein ist, das hier keine Verwandten und auch sonst niemanden hat, gegen sehr hohe Summen eine extreme Art von Pädophilie ausgeübt werden kann.«
»Was heißt das?«, fragte Montalbano mit trockenem Mund.
»Da bedeuten Qualen und der gewaltsame Tod des Opfers einen Lustgewinn für den Pädophilen.«
»Ah.«
»Und dann gibt es noch das organisierte Betteln. Wissen Sie, die Ausbeuter dieser Kinder, die zum Betteln gezwungen werden, sind sehr einfallsreich. Ich habe mit einem kleinen Albaner gesprochen, der geraubt worden war und von seinem Vater zurückgeholt werden konnte. Damit er hinkt, haben sie ihn am Knie schwer verletzt und die Wunde extra infiziert. So erregte er größeres Mitleid bei den Passanten. Einem anderen haben sie die Hand abgeschlagen, einem haben sie …«
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Mir fällt gerade etwas ein, was ich vergessen hatte«, sagte der Commissario und stand auf.
Als die Tür hinter ihm zu war, rannte er los. Wie ein Hundertmeterläufer sprintete er, die Ellbogen auf Brusthöhe, mit langen, resoluten Schritten an dem völlig verdatterten Catarella vorbei. Montalbano rannte in die nahe Bar, in der gerade kein Gast war, und lehnte sich an die Theke.
»Gib mir einen dreifachen Whisky pur.«
Wortlos bediente ihn der Barmann. Der Commissario kippte den Whisky in zwei Schlucken, zahlte und ging.
Catarella stand stocksteif vor Montalbanos Büro.
»Was tust du da?«
»Dottori, ich tu den da bewachen«, antwortete Catarella und wies mit dem Kopf zur Tür. »Falls wenn der noch mal abhaut.«
»Schon gut, du kannst jetzt gehen.«
Er betrat sein Zimmer. Der Journalist hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Montalbano setzte sich hinter den Schreibtisch. Er fühlte sich besser, jetzt hatte er die Kraft, sich weitere Horrorgeschichten anzuhören.
»Ich hatte Sie gefragt, ob sich diese Kinder allein einschiffen oder -«
»Commissario, dahinter steckt wie gesagt eine mächtige Schlepperbande. Einige, aber das ist eine Minderheit, kommen allein her. Die anderen werden begleitet.«
»Von wem?«
»Von Leuten, die sich als ihre Eltern ausgeben.«
»Komplizen?«
»Na ja, so direkt möchte ich das nicht sagen. Wissen Sie, ein Platz auf dem Boot kostet sehr viel. Die Flüchtlinge bringen enorme Opfer für die Überfahrt. Nun kann dieser Preis halbiert werden, wenn man neben den eigenen Kindern einen Minderjährigen mitnimmt, der nicht zur Familie gehört. Aber außer solchen gewissermaßen zufälligen Begleitern gibt es noch Begleitpersonen, die das regelmäßig und aus Profitgier machen. Diese Leute sind fest in die breit angelegte Schleuserorganisation eingebunden. Und nicht alle Minderjährigen werden zusammen mit einer Flüchtlingsgruppe eingeschleust. Es gibt andere Wege. Ein Beispiel. Vor ein paar Monaten legt in Ancona die Fähre aus Durazzo an, die Waren und Personen transportiert. Giulietta Petalli, eine Albanerin Anfang dreißig, geht von Bord. Ihrer regulären Aufenthaltsgenehmigung beigefügt ist das Foto eines Kindes, ihres Sohnes, den sie an der Hand hält. Die Signora fährt nach Pescara, wo sie arbeitet, aber sie ist allein, das Kind ist verschwunden. Ich mache es kurz: Die Kripo Pescara hat festgestellt, dass die liebe Giulietta, ihr Mann und ein Komplize sechsundfünfzig Kinder nach
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