Commissario Montalbano 10 - Die schwarze Seele des Sommers
noch mal«, sagte Montalbano. Der Kellner wirkte eingeschnappt. Nach einer Weile kam er mit dem Besteck, den Gläsern, mit Wasser und Wein zurück. Weiß und gut gekühlt. »Mögen Sie?«
»Ja.«
Montalbano goss ihr ein halbes Glas ein und sich selbst ebenfalls.
»Gut«, sagte sie.
»Wissen Sie, dass ich mich nicht mehr erinnere, wo wir stehen geblieben waren?«
»Sie hatten mich gefragt, ob Spitaleri und Rina sich noch öfter gesehen hätten, und ich habe Ihnen mit Ja geantwortet.«
»Was hat Ihnen Ihre Schwester erzählt?«
»Dass Spitaleri ihr seit dem Tag, als die Sache mit Ralf passierte, ein bisschen zu sehr auf die Pelle rückte.«
»Inwiefern?«
»Rina hatte den Eindruck, dass Spitaleri ihr nachspionierte. Sie begegnete ihm auffallend häufig. Wenn sie zum Beispiel mit dem Bus in den Ort fuhr, tauchte im Augenblick, wo sie zurückkam, Spitaleri auf, der ihr anbot, sie mitzunehmen. Das ging so bis eine Woche davor.«
»Vor was?«
»Vor dem 12. Oktober.«
»Und Rina ließ sich mitnehmen?«
»Hin und wieder.«
»Hat sich Spitaleri immer anständig benommen?«
»Ja.«
»Und was ist dann eine Woche vor dem Verschwinden Ihrer Schwester passiert?«
»Eine unerfreuliche Geschichte. Es war Abend und schon dunkel, und Rina ließ sich mitnehmen. Doch sobald Spitaleri auf die Straße nach Pizzo abgebogen war, hielt er auf Höhe des Häuschens an, das dem Bauern gehört, der dann auch verhaftet wurde, und wurde handgreiflich. Einfach so, aus heiterem Himmel, sagte mir Rina.«
»Was tat Ihre Schwester?«
»Sie stieß einen so fürchterlichen Schrei aus, dass der Bauer herausgelaufen kam. Das nutzte Rina, um sich zu ihm zu flüchten, und Spitaleri musste wieder abfahren.«
»Wie ist Rina wieder nach Hause gekommen?«
»Zu Fuß. Der Bauer hat sie begleitet.«
»Sie haben gesagt, man habe ihn verhaftet.«
»Ja, der Arme. Als die Ermittlungen eingeleitet wurden, ging die Polizei auch in sein Häuschen. Und zu seinem Unglück fanden sie unter einem Möbelstück einen Ohrring meiner Schwester. Rina dachte, der wäre ihr in Spitaleris Auto runtergefallen, in Wahrheit hatte sie ihn aber dort verloren. Da habe ich mich entschlossen, zu erzählen, was da mit Spitaleri passiert war. Aber nichts zu machen, Sie wissen ja, wie die Polizei ist.«
»Ja, das weiß ich.«
»Dieser arme Mann wurde monatelang schikaniert.«
»Können Sie mir sagen, ob Spitaleri vernommen wurde?«
»Sicher. Aber Spitaleri erklärte, dass er am Morgen des 12. Oktober nach Bangkok geflogen sei. Er habe es gar nicht sein können.«
Der Kellner kam mit den Spaghetti.
Adriana führte die erste Gabel an den Mund, kostete und sagte dann:
»Die sind gut. Wollen Sie probieren?«
»Warum nicht?«
Montalbano streckte seine mit einer Gabel bewehrte Hand aus und wickelte die Spaghetti auf. Sie waren zwar nicht vergleichbar mit denen von Enzo, aber durchaus essbar. »Probieren Sie meine.«
Adriana machte es wie Montalbano und probierte sie. Sie redeten nicht mehr, bis sie aufgegessen hatten. Hin und wieder sahen sie sich an und lächelten. Etwas Merkwürdiges war passiert. Vielleicht hatte diese vertrauliche Geste, mit der eigenen Gabel im Teller des anderen herumzustochern, zwischen ihnen beiden eine Vertrautheit, eine Intimität erzeugt, die vorher nicht da war.
Vierzehn
Sie hatten ihr Essen schon seit einer Weile beendet, sprachen aber nicht und tranken einen Limoncello zur Verdauung. Und jetzt fühlte Montalbano sich von ihr genauso beobachtet, wie er es mit ihr im Kommissariat gemacht hatte.
Weil es schwer war, so zu tun, als ob nichts weiter wäre mit diesen Augen von der Farbe des offenen Meeres, die da auf ihn gerichtet waren, zündete er sich, einfach um sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, eine Zigarette an. »Geben Sie mir auch eine?«
Er reichte ihr das Päckchen, sie nahm eine Zigarette, steckte sie sich zwischen die Lippen, stand halb auf und beugte sich ganz nach vorn, um sie an dem Feuerzeug anzuzünden, das Montalbano ihr hinhielt.
Denk immer dran, dass sie deine Tochter sein könnte!, rief er sich selbst in Erinnerung.
Was er von der jungen Frau zu sehen bekam, so wie sie sich ihm da entgegenneigte, ließ ihn richtiggehend schwindelig werden. Und unter dem Oberlippenbart trat Schweiß auf seine Haut.
Es war ausgeschlossen, dass sie nicht wusste, dass er, wenn sie so dastand, nicht umhinkonnte, ihr in den Ausschnitt zu schauen. Warum hatte sie es dann getan? Um ihn zu provozieren? Aber Adriana wirkte nicht so,
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