Con molto sentimento (German Edition)
Spitzen, die unter und über den Noten standen.
Alexis erklärte das Prinzip: Die Anmerkungen über den Noten betrafen den rechten Fuß, die unterhalb den Linken. Eine dreieckige Spitze bedeutete, dass die Noten mit der Fußspitze zu spielen war, ein Halbrund zeigte den Absatz an.
Nach zwanzig Minuten hatte Jonathan das Stück gemeistert und strahlte vor Stolz. Er versprach wieder zu kommen, was Alexis ihm nicht abschlagen wollte. Während Jonathan dies sagte, drückte er das Notenblatt wie einen Schatz an sich. Natürlich hatte Alexis es noch signieren müssen.
Als er dem kleinen Jungen nachblickte und danach wieder an seine eigene Arbeit ging, musste er an das Versprechen denken, das er Federico abgerungen hatte. Dass dieser nämlich nicht mehr in Williams Entwicklung als Pianist eingreifen sollte. Nachdem er nun diese Begegnung mit Jonathan gehabt hatte, war er versucht etwas nachgiebiger zu sein. Es war schon eine Herausforderung und Pflicht ein Talent zu fördern, und bei einem guten und gelehrigen Schüler würde das ganze auch noch Spaß machen. Natürlich sah es Alexis ein, dass Jonathan noch zu jung und unerfahren für die Orgel war, doch würde es ihn wirklich interessieren, wie sich der Kleine in vielleicht zwei oder drei Jahren schlagen würde.
Oh, dass ausgerechnet er so etwas dachte! Er hatte sich nie für einen besonders geduldigen und guten Lehrer gehalten. Dabei war Geduld gerade bei jungen Schülern jedoch unabdingbar. Bis jetzt war ihm das Unterrichten nur lästige Pflicht gewesen.
Kurz vor Mitternacht dachte sich auch Alexis, dass es nun einmal genug war und er packte seine Notenblätter, Bleistift und Orgelschuhe in den Rucksack. Als er so durch die Gänge ging und immer Ausschau nach dem nächsten Lichtschalter hielt – er war einmal eine geschlagene Viertelstunde umhergeirrt, als sich die Beleuchtung ausgeschaltet und er in der Finsternis nach einem Schalter gesucht hatte – fragte er sich, ob wohl Federico auch hier war. Vielleicht übte der Pianist ebenfalls noch. Einen Versuch war es wert, entschied Alexis. Auch wenn ihn Federico womöglich ignorieren würde, aber diese Gefahr würde Alexis eingehen.
Ach, wie waren sie überhaupt in diesen Schlamassel geraten? Die Frage stellte sich Alexis bestimmt zum hundertsten Mal.
Er konnte es gar nicht sagen, wie sehr ihn Federicos Reaktion verletzt hatte. Sie hatten einander die Treue geschworen, sie hatten die Ringe getauscht und vielleicht hätten sie in England eine richtige Zeremonie organisiert. Und nun trug er ihre beiden Ringe an seiner Hand. Verkehrte Welt. Was war nur schief gelaufen? Er würde Federico am liebsten die Leviten lesen. Was tickte der auch so komplett aus. Es wäre ja okay gewesen, wenn Federico bei Claude geblieben wäre, kein Grund ihm gleich den Ring zurückzugeben!
Er konnte sich noch genau erinnern, dass es einen Übungsraum gab, den Federico immer am liebsten aufgesucht hatte. Der Grund war der spezielle Flügel in diesem Raum. Auch zwischen den einzelnen Instrumenten gab es beträchtliche Unterschiede in der Spielweise und im Klang. Das mochte zwar nicht so augenscheinlich sein wie bei den Orgeln, aber die Pianisten hatten da auch ganz klar ihre Präferenzen. Federico liebte die Flügel von Steinway und wünschte sich noch heute nichts sehnlicher, als selbst so ein Instrument zu besitzen. Seiner Meinung nach waren es wirklich die besten Klaviere auf der Welt. Alexis hatte schon damit geliebäugelt seinem Partner einen Flügel zu schenken, sobald sie in ihr Haus in England einzogen. Natürlich verbunden mit einer Reise nach Deutschland zu den dortigen Produktionsstätten in Hamburg damit sich Federico den perfekten Flügel selbst aussuchen konnte. Doch so wie die Sache zurzeit aussah, würde Alexis nicht darauf wetten, dass sie diesen Trip bald auf sich nehmen würden.
An besagtem Saal angekommen, lauschte Alexis an der Tür. Als er niemanden spielen hörte, öffnete er, ohne anzuklopfen, und spitzte um die Ecke. Es war ein Déja vu. Dort saß Federico an den schwarzen Korpus des Flügels gelehnt, die Arme darauf verschränkt, den Kopf auf den Unterarmen gebettet und schlief.
Jeder Ansatz von Wut oder Verärgerung gegenüber seinem Freund verpuffte. Er konnte es alleine schon an Federicos Haltung sehen, dass dieser fertig war, körperlich und seelisch auch. Federico machte sich wohl selbst die meisten Vorwürfe wegen seines Verhaltens. Federicos Temperament war Fluch
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