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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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haben könnt?«
    »Genau so ist es, Madame. Aber es ist mir nie in den Sinn gekommen, dass das Ganze im Grunde der Kinderzeugung dient... Was fehlt denn Nummer zwei/eins?«
    »Lucien ist, um es einmal so auszudrücken, ein sonderbar aussehendes Kind. Bei den Lavardacs ist das normal. Außerdem ist er teilnahmslos und gedeiht schlecht.«
    »Was ist mit Nummer eins/null?«
    »Das schönste Kind, das je gelebt hat. Gescheit, fröhlich, kräftig, geradezu strahlend.«
    »Wie heißt er?«
    » Getauft wurde er auf den Namen Jean-Jacques.«
    »Wo das Jacques herkommt, kann ich mir denken.«
    »Ja, und das Jean kommt von Jean Bart.«
    »Ihr habt Euren Erstgeborenen nach einem Piraten und einem Landstreicher benannt?«
    »Seid nicht so hochmütig. Immerhin ist einer davon Euer Bruder.«
    »Warum aber diese vorsichtige Formulierung: › Getauft wurde er auf den Namen Jean-Jacques‹?«
    »Er hört auf den Namen Johann.«
    »Wie war das?«
    »Johann. Johann von Hacklheber.«
    »Eigenartiger Name für den Bastard einer französischen Herzogin.«
    »Er ist seit knapp achtzehn Monaten in Leipzig auf Besuch. Als er
dorthin kam, war er nicht ganz anderthalb Jahre alt. Ich habe Berichte von Freunden bekommen, die in jenem Teil der Welt wohnen, und sie haben mir mitgeteilt, dass er dort Johann von Hacklheber gerufen wird.«
    »Alles mit einem ›von‹ darin ist doch ein Adelsname – wie das ›de‹ hierzulande, habe ich recht?«
    »O ja. Er lebt im Haushalt eines deutschen Barons.«
    »Ich weiß zwar nichts von den Sitten des kontinentalen Adels, aber dieses Arrangement kommt mir ungewöhnlich vor.«
    »Ihr habt ja keine Ahnung.«
    »Es ist Euch vielleicht nicht bewusst, Madame, aber Ihr habt eine Art brennenden Schimmer im Gesicht und um die Augen, ein bisschen wie beim Beischlaf, aber anders.«
    »Es handelt sich um eine andere Art von Verlangen, mehr nicht.«
    »Ihr wollt den Jungen zurück. Das Arrangement sagt Euch nicht zu... o mein Gott!«
    »Nur zu, sagt es.«
    »Man hat ihn Euch weggenommen !?«
    » Ja.«
    »Mein Gott. Warum!?«
    » Das tut nichts zur Sache. Mein Ziel ist es, an den heranzukommen, der mir meinen Jungen weggenommen hat, und...«
    »Euren Jungen wiederzubekommen, nehme ich an?«
    »…«
    »Nach Eurem Gesichtsausdruck zu urteilen, sollte ich vielleicht keine Annahmen machen.«
    »Ich will Euch sagen, was das wahrhaft Böse an dem ist, was man mir vor achtzehn Monaten angetan hat.«
    »Ich höre.«
    »Ihr bildet Euch wahrscheinlich ein, es gäbe Parallelen, Ähnlichkeiten zwischen dem, was Eurer Abigail, und dem, was meinem Jean-Jacques angetan wurde. Das könnt Ihr Euch aus dem Kopf schlagen. Abigail ist eine Sklavin, gegen ihren Willen festgehalten, missbraucht. Eine Gefangene. Für meinen Jean-Jacques gilt das nicht mehr. Als Johann in Leipzig geht es ihm besser, als es ihm als Jean-Jacques in Versailles ging. Abigails Kerkermeister sind Schwachköpfe – ohne einen Funken Vorstellungskraft. Indem sie ihr das Leben zur Qual machen, machen sie Euch das Leben zur Qual, das ist wohl wahr – aber Euer Weg ist klar: Es ist der aus Mythos und Legende sattsam bekannte
Weg, der Weg des rechtschaffenen Zorns, der Rache, der Vergeltung, der Rettung. Lothar von Hacklheber hat etwas unendlich viel Grausameres getan. Er hat meinen Sohn glücklich gemacht. Wenn ich irgendwie nach Leipzig gelangen und ihn zurückholen könnte, wäre das Kind zu Tode verängstigt und unglücklich. Und das vielleicht zu Recht, denn bei meiner Rückkehr bliebe mir nichts anderes übrig, als ihn in irgendeinem christlichen Waisenhaus bei Versailles unterzubringen, wo er von Nonnen aufgezogen und zu einem Jesuitenpriester gemacht werden würde.«
    »Meiner Treu. Ich bin um meinetwillen froh, Madame, dass ich in dem Moment, als Euch dies alles aufging, nicht in Eurer Nähe war...«
    »…«
    »Was starrt Ihr mich so an? Das bringt mich auf den Gedanken, dass ich mich lieber wieder anziehe – vielleicht auch bewaffne.«
    »…«
    »Geht es Euch etwa erst jetzt auf?«
    »Wenn ein Gedanke schrecklich genug ist, weigert sich der Verstand, ihn in einem Stück zu schlucken, sondern würgt ihn viele Male aus und käut ihn wieder, ehe er endgültig hinuntergeht. An diesem Gedanken habe ich nun schon seit über einem Jahr zu kauen. Nach Jean-Jacques’ Entführung habe ich mehrere Wochen gebraucht, um seinen Aufenthaltsort festzustellen. Bis ich auch nur einen übereilten, schlecht durchdachten Plan zu seiner Rückholung fassen konnte, war ich mit

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