Confusion
sammelte ein, zwei Minuten lang seine Gedanken. Eliza und Fatio füllten das Schweigen mit Geplauder. Doch beide behielten Newton im Auge. Schließlich huschten dessen Augen zu einem nahegelegenen Fenster hinauf, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck
an, als wäre er bereit, etwas loszuwerden. Fatio brach mitten im Satz ab und wandte sich ihm halb zu.
»Ich werde mich so äußern, als ob alles, was Nicolas von Eurem Verstand und Eurer Gelehrsamkeit gesagt hat, wahr ist«, begann Newton, »das heißt, ich werde mich weder mit Halbwahrheiten dahinschleppen, noch werde ich im Kreis zurückgehen, um langweilige Erklärungen zu liefern, wie ich es vielleicht im Gespräch mit gewissen anderen Herzoginnen täte.«
»Dann werde ich bestrebt sein, mich Fatios Komplimenten und Eures Respekts würdig zu erweisen, Sir«, antwortete Eliza.
Genau das hatte Newton offenbar zu hören gehofft, denn er nickte leicht und lächelte beinahe, ehe er fortfuhr. »Ich möchte mich ohne Umschweife der Frage der Alchimie zuwenden und warum ich sie schätze. Denn Ihr werdet mich für geistig verwirrt halten, weil ich ihr so viel Zeit widme. Ihr werdet das deshalb denken, weil sämtliche Alchimisten, mit denen Ihr gesprochen habt, Quacksalber oder deren Narren sind. Deshalb werdet Ihr eine schlechte Meinung von dieser Kunst und ihren Praktikanten haben.
Ihr seid mit Daniel Waterhouse befreundet, der die Alchimie nicht liebt und die Zeit, die ich im Laboratorium verbringe, als für die Naturphilosophie verloren ansieht. Er ist sogar so weit gegangen, 1677 mein Laboratorium in Brand zu stecken. Ich habe ihm verziehen. Er hat mir allerdings nicht verziehen, dass ich weiterhin Alchimie studiere. Vielleicht hat er Euch, my Lady, seine Ansichten durch Worte oder Gesten mitgeteilt.
Ihr seid auch mit Leibniz befreundet. Nun gibt es jene, die mich glauben machen wollen, Leibniz sei für mich so etwas wie ein Widersacher. Ich glaube das nicht.« Newtons Blick richtete sich kurz auf Fatio, während er dies sagte. Fatio lief rot an und wich dem Blick des anderen aus. »Ich sage, dass das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit erhalten bleibt; Leibniz sagt, dass das Produkt aus Masse und dem Quadrat der Geschwindigkeit erhalten bleibt; wie es scheint, haben wir beide recht und können durch Anwendung beider Prinzipien eine Wissenschaft der Dynamik – um Leibniz’ Begriff zu verwenden – aufbauen, die mehr ist als die Summe dieser beiden Teile. Darin hat Leibniz meinem Werk also nicht Abbruch getan, sondern es erweitert.
Ebenso würde er den Principia Mathematica keinen Abbruch tun, sondern sie vielmehr um das erweitern, was ihnen eindeutig fehlt:
nämlich eine Beschreibung des Sitzes und der Ursachen der Kraft. Darin sind Leibniz und ich Waffenbrüder. Auch ich würde das Rätsel der Kraft lösen: der Fernwirkung, wie sie gravitierenden Körpern zukommt, und der Kräfte in und zwischen Körpern, etwa wenn sie kollidieren. Oder wie hier.«
Newton streckte, den Handteller nach oben gekehrt, eine Hand aus, und Eliza glaubte einen Moment, er wolle ihre Aufmerksamkeit auf das über dem Tisch in die Wand eingesetzte Fenster lenken. Doch er wedelte mit der Hand in der Luft herum, als versuchte er, eine Motte zu fangen, und hielt sie schließlich still. Seinen Handteller, der so blass war wie Pergament, zierte ein Streifen eines kleinen Regenbogens, den eine Facette oder Unregelmäßigkeit in der Fensterscheibe hervorgerufen hatte. Der Farbstreifen war so stabil wie ein Kreisel auf einem Stativ, obwohl Newtons Hand nicht aufhörte, sich zu bewegen. Es war ein trompe l’oeil, das alles übertraf, was ein boshafter Maler in Versailles an eine Wand hätte tupfen können. Eliza handelte ohne nachzudenken: Sie streckte beide Hände aus, führte sie leicht gewölbt unter der fahrigen Hand Newtons zusammen, die sie hielt und zur Ruhe brachte. »Ich sehe, dass Ihr unpässlich seid«, sagte sie, »denn das ist nicht der Tremor des Kaffeeenthusiasten, sondern das Zittern eines Fieberkranken.« Doch Newtons Hand fühlte sich kalt an.
»So gesehen, sind wir alle unpässlich«, gab Newton zurück, »denn wenn uns irgendeine Seuche dahinraffte, würden diese kleinen Spektren dennoch bis ans Ende aller Tage hier im Zimmer umherwimmeln, ohne zu wissen oder sich darum zu scheren, ob Menschenhände gehoben würden, um sie zu fangen. Unser Fleisch hält das Licht auf. Das Fleisch ist schwach, wohl wahr, aber der Geist ist stark, und indem wir unseren Verstand auf die
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