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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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ging knirschenden Schritts den Kiesweg entlang ins Schloss.
    Fünf Minuten später war er wieder da. »Monsieur, sie werden abziehen«, verkündete er. Was ohnehin offensichtlich gewesen war, denn sobald er das Haus betreten hatte, hatten die Männer aufgehört zu graben und begonnen, ihre Sachen einzusammeln und sich zugweise im Garten aufzustellen.
    »Es gibt eine Komplikation«, fügte Barnes hinzu.
    Der Kavalier verdrehte die Augen, seufzte und spie aus. »Worin besteht die Komplikation, Monsieur?«
    »Einer meiner Leute ist im Haus auf etwas gestoßen, was, so muss ich Euch leider mitteilen, nicht das rechtmäßige Eigentum von Graf Sheerness ist. Wir nehmen das fragliche Stück mit.«
    »Also verhält es sich so, Monsieur, wie es mir schon die ganze Zeit schwante. Ihr seid Diebe. Was ist wohl die Beute? Das Silbergeschirr? Nein – der Tizian! Ich hatte von Anfang an den Verdacht, dass Ihr ein Auge für Kunst habt, Monsieur. Es ist der Tizian, nicht wahr?«
    »Ganz im Gegenteil, Monsieur. Es ist eine Frau. Eine Engländerin.«
    »O nein, die Engländerin bleibt hier!«
    »Nein, Monsieur. Sie geht mit. Sie geht mit ihrem Ehemann.«
    » Ihrem Ehemann!?«
     
    Es war dreißig Jahre her, dass Bob Shaftoe eine Regenrinne hinaufgekraxelt war, um in das Haus eines reichen Mannes einzubrechen. Doch die Frauen des Haushaltes waren wie Vögel instinktiv nach oben geflattert und hatten sich jeder Treppe bedient, die sich ihnen dargeboten hatte, bis sie sich schließlich in einer Mansarde verkrochen hatten. Vom Dach sprang ein Gaubenfenster vor, in dem ab und zu verängstigte Gesichter auftauchten. Anstatt Türen einschlagen und das Haus zerlegen zu lassen, kletterte Bob lieber auf das Dach, schob sich auf dem Bauch über die Ziegel, trat die Fensterscheibe ein, landete mit einem Purzelbaum auf dem Boden und parierte den Ansturm und Ausfall irgendeiner Küchendirne, die, ehe sie ihren Posten verlassen, daran gedacht hatte, sich ein Fleischermesser zu schnappen. Er packte sie am Handgelenk, wirbelte sie herum, setzte einen Doppelnelson an, entwand ihr das Messer und hielt sie als Schutzschild vor sich, falls
eine der vier anderen Frauen in der Mansarde ähnliche Absichten hegte. Sie roch nach Karotten und Thymian. Sie rief etwas auf Französisch, das seiner Überzeugung nach »Lauft weg!« bedeutete, aber nicht eine von ihnen rührte sich. Das Donnern an der Mansardentür bewies, dass ihnen dieser Fluchtweg versperrt war.
    Sie sahen ihn an. Ihre Gesichter waren dem Licht zugewandt, das durch das kaputte Fenster einströmte. Eine war eine alte Hexe, zwei waren Matronen, zu alt und zu stämmig, um Abigail zu sein. Eine hatte das richtige Alter, die richtige Figur und den richtigen Teint. Sein Herz machte einen Sprung und setzte einen Schlag aus. Sie war es nicht. »Verdammt!«, sagte er. »Habt keine Angst, niemand tut euch was. Ich suche Miss Abigail Frome.«
    Vier Augenpaare verschoben sich minimal von Bobs Gesicht zu dem der Frau, die er festhielt.
    Dann drückte ihr ganzes Gewicht ihn nach hinten, und er musste ihr Handgelenk loslassen, um sie aufzufangen. Er hatte in seinem Leben einiges über den waffenlosen Zweikampf gelernt, darunter auch ein, zwei Tricks, um sich aus einem Doppelnelson zu befreien. Dieser allerdings war ganz neu: in den Armen seines Gegners ohnmächtig zu werden.
     
    Drei Minuten später kam sie, ein Stockwerk tiefer schräg auf einem Bett liegend, wieder zu sich. Bob verschwand immer wieder aus ihrem Gesichtsfeld. Zunächst kam er ihr nahe, um ihre Sommersprossen zu zählen, dann fiel ihm ein, dass ein Leben im Militärdienst ihn zu einem schrecklichen Anblick gemacht hatte, und er zog sich, um ihn Abigail zu ersparen, wieder zurück, ging an den Fenstern des Zimmers entlang und inspizierte die Schanzarbeiten der Soldaten unten. Einige machten es nicht ganz richtig. Er bezähmte den Drang, ein Fenster aufzureißen und sie anzuschnauzen. Mit raschem Blick suchte er den Horizont nach rachsüchtigen französischen Kavallerieregimentern ab. Als Abigail sich an der Nase kratzte, behielt er sie im Auge, falls sie heimlich noch mehr Schneidwerkzeuge mit sich führte. Aber er hätte sich die Mühe sparen können. Was er da vor sich hatte, war keine ungestüme Mörderin. Sie war ein Schulmädchen aus einer Kleinstadt in Somerset, von sanfter, ausgeglichener Wesensart, doch in praktischen Fragen eher ein wenig ungeschickt, wodurch Bob sie überhaupt erst kennen gelernt und sein Herz an sie verloren hatte.

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