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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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wieder in seiner Kajüte.
    Zwanzig Sekunden später waren Jack und van Hoek bei ihm.
    »Ich habe versucht zu schlafen, aber diese Laterne hat mich wachgehalten«, sagte Enoch und wies mit dem Kopf auf eine Öllampe, die an einer Kette von der Decke seiner Kajüte hing. Sie schwang heftig hin und her, obwohl das Schiff nur leicht von einer Seite zur anderen schaukelte.
    »Warum nehmt Ihr sie nicht herunter?«, fragte Jack.
    »Weil ich glaube, dass sie mir etwas zu sagen hat«, erwiderte Enoch. Dann wandte er seinen Blick van Hoek zu. »Ihr habt mir einmal erzählt, dass jeder Hafen, seiner Größe entsprechend, einen bestimmten Wellenschlag hat. Und dass Ihr, selbst wenn Ihr bei zugezogenen Vorhängen in Eurer Kajüte liegt, allein am Wellenzyklus unterscheiden könnt, ob Ihr in Batavia oder in Cavite seid.«

    »Das stimmt«, pflichtete van Hoek ihm bei. »Jeder Kapitän kann Euch Geschichten von Schiffen erzählen, die erwiesenermaßen seetüchtig waren, aber beim Einlaufen in einen unbekannten Hafen Schiffbruch erlitten, weil die Schwingdauer der Wellen in diesem Hafen zufällig mit der natürlichen Frequenz des Schiffsrumpfs zusammenfiel.«
    »Jedes Schiff schaukelt, je nachdem, wie es mit Ballast und Fracht beladen ist, in einem ganz bestimmten Rhythmus – genau wie diese Laterne in unveränderlichem Tempo schwingt«, sagte Enoch als Erklärung für Jack. »Wenn nun Wellen im selben Rhythmus an dieses Schiff schlagen, beginnt es bald so heftig zu schaukeln, dass es kentert und untergeht.«
    »So wie eine Lautensaite, die gezupft wird, ihre Partnersaite, die auf denselben Ton gestimmt ist, in natürlichem Einklang mitvibrieren lässt«, ergänzte van Hoek. »Fahrt fort, Enoch.«
    »Als wir heute früh in diesen Hafen segelten, fing meine Laterne mit einem Mal an, so heftig zu schwingen, dass sie an die Decke schlug und Öl in der Kajüte umherspritzte«, sagte Enoch. »Also nahm ich sie ab und stellte die Kette auf eine andere Länge ein, so wie jetzt.« Enoch hob die Kette der Laterne aus ihrem Haken am Deckenbalken und fuhr, Glied um Glied, an ihr entlang, bis er zu einem kam, das glatt gewetzt war. »So war es, als wir in den Hafen einliefen«, sagte er, und danach hängte er die Laterne wieder so auf, dass sie ein paar Zoll tiefer hing als vorher. Er schwenkte sie ein Stück zur Seite und ließ sie los, woraufhin sie anfing, in der Mitte der Kajüte hin und her zu schwingen. »Daraus folgt, dass die Frequenz, die wir jetzt beobachten – hin, her, hin, her -, an die natürliche Schwingdauer der Wellen in diesem Hafen angepasst ist.«
    »Bei allem gebührenden Respekt vor Euch und Euren Freunden aus der Royal Society«, sagte van Hoek, »kann diese Demonstration nicht warten, bis wir weit draußen auf dem Japanischen Meer sind?«
    »Kann sie nicht«, antwortete Enoch ruhig, »weil wir das Japanische Meer nie erreichen werden. Das hier ist eine Mausefalle.«
    Van Hoek wollte schon aufspringen, aber Enoch legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter und vergewisserte sich dabei mit einem flüchtigen Blick aus dem Fenster, dass sie nicht von Japanern beobachtet wurden. »Halt!«, sagte er. »Es ist eine raffinierte Falle, und raffiniert müssen wir auch sein, um aus ihr zu entkommen. Jack, auf meinem Bett liegt ein Fläschchen.«

    Jack, der zu groß war, um aufrecht in der Kajüte zu stehen, machte wie ein Krebs ein oder zwei Schritte seitwärts und fand, zwischen Enochs Bettzeug vergraben, eines der Quecksilberfläschchen.
    »Haltet es auf Armeslänge von Euch weg«, sagte Enoch.
    Das tat Jack, obwohl es die Kraft zweier Arme erforderte. Das Quecksilber in dem Fläschchen wirbelte umher, als er es hochhob, kam jedoch dann zur Ruhe. Auch seine Hände bewegten sich nicht mehr. Dann fing das flüssige Metall an hin und her zu schwappen, wodurch seine Hände, sosehr er sich auch bemühte, sie ruhigzuhalten, gezwungen wurden, dieser Bewegung zu folgen.
    »Achtet auf die Laterne«, sagte Enoch. Die Aufmerksamkeit verlagerte sich von dem schwappenden Flascheninhalt auf das schwingende Licht.
    Van Hoek erkannte es als Erster. »Sie bewegen sich mit derselben Schwingdauer.«
    »Die mit was übereinstimmt?«, fragte Enoch, einem Schulmeister gleich, der seine Schüler behutsam auf neues Terrain führt.
    »Mit dem natürlichen Rhythmus der Wellen am Eingang zu diesem Hafen«, antwortete Jack.
    »Ich habe drei Fläschchen auf diese Weise geprüft, und alle schwappen sie mit derselben Frequenz«, erklärte Enoch.

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