Confusion
Geburtstagskuchen erscheinen ließen.
Die Bibliothek war zwei Stockwerke hoch gebaut, mit einer umlaufenden Galerie auf halber Höhe, die Zugang zu den höheren Regalen bot. Die Wände und die mit Fresken bemalte Gewölbedecke waren großzügig mit Fenstern versehen, sodass »Tante Figgie« (die Kurzform von Figuelotte, wie Königin Sophie Charlotte in ihrer Familie genannt wurde) und die Bücherwürmer unter ihren Freunden bis in den Abend hinein lesen konnten, ohne Kerzen zu brauchen. Die hohen Fenster waren leicht geöffnet, damit warme Sommerluft in den Raum hinein- und der Rauch der zischenden Feuerwerkskörper herausgelangte.
Die Fresken stellten das gleiche Repertoire klassischer Szenen dar, das heutzutage die Decke jeder reichen Person in der Christenheit schmückte, obwohl die Götter und Göttinnen mit blondem Haar und blauen Augen ausgestattet waren, sodass es sich bei Jupiter ebenso gut um Wotan hätte handeln können. Die Trompe l’œil- Technik erweckte den Anschein, als hätte die Bibliothek keine Decke, sondern läge offen unter dem blauen Himmel und die Götter sprängen allesamt aus schaumigen Wolken. Die sich windenden Rauchsäulen der Feuerwerkskörper fächerten sich zu den Stuckaturarbeiten hin auf und wirbelten umher, wodurch die Illusion noch verstärkt wurde.
Es folgten Hochrufe und ein kleines Lied der etwa ein Dutzend Leute, die gekommen waren, um Caroline zu ihrem Geburtstag Glück zu wünschen. Für eine Prinzessin war es eine kleine Geburtstagsgesellschaft, und die Gäste waren schon älter. Mit ihren einundsiebzig Jahren von allen die Älteste war Sophie – sie war aus Hannover gekommen, zusammen mit Leibniz und ihren Enkelkindern in eine Kutsche gezwängt: Georg August (der ein paar Monate jünger war als Caroline) und Sophie Dorothea (vier Jahre jünger). Sophie Charlotte (Figuelotte), die Königin von Preußen und Herrin und Namensgeberin des Schlosses, war mit ihrem Sohn Friedrich Wilhelm da, einem sagenhaften Balg von dreizehn Jahren. Ergänzt wurde die Gästeliste durch die bunteste Schar von Metaphysikern, Mathematikern, radikalen Theologen, Schriftstellern, Musikern und Dichtern, die je zum achtzehnten Geburtstag einer Prinzessin zusammengekommen war.
Die Königin von Preußen inszenierte gern Opern, wenn sie nicht gerade tumultuöse Esstischdebatten unter ihren Freunden anzettelte, und eine Tyrannin war sie nur in dem Sinne, dass sie einem armen Naturforscher befahl, eine Narrenkappe aufzusetzen und eine Partie zu trällern, für die er nicht ausgebildet und völlig ungeeignet war. Prinzessin Caroline war von Zeit zu Zeit genötigt worden, den Part einer Nymphe oder eines Engels zu singen. Nichts – außer vielleicht, Seite an Seite in einem Krieg zu kämpfen – schweißte unterschiedliche Menschen so sehr zusammen wie gemeinsam auf einer Bühne aufzutreten, und so war Caroline eine enge Freundin dieser Erwachsenen, ihrer Leidensgenossen auf den Brettern von Schloss Charlottenburg, geworden.
Mit Weingläsern und Funkenfeuern in den Händen hatte man sich um ein mitten in der Bibliothek errichtetes Podest aus Kirschenholz
versammelt. Auf ihm erhob sich ein großer, kugelförmiger Gegenstand, der sich über den Köpfen der Feiernden wölbte...
»Ein Käfig!«, rief Caroline aus.
Bestürzung trat in Leibniz’ Gesicht. Doch diese Empfindung wurde sehr rasch von einer Art abwesend-gebanntem Ausdruck abgelöst, da irgendetwas seine Neugier erregt hatte. Er bewegte den Kopf auf eine Weise, die ein Nicken oder eine Verbeugung hätte sein können. » C’est juste«, sagte er. »Geometer haben mit ihren Parallelen und Meridianen den Globus liniert, der – weil nur durch unregelmäßige Küstenlinien und Flussverläufe gezeichnet – den Augen derjenigen, die nur in der Ordnung Schönheit erblicken können, wild erschien. Doch jemand, der die Natur wegen ihrer Vielgestaltigkeit liebt, könnte die Hilfsmittel der Geometer als Entstellung betrachten – durch die Stangen eines Käfigs gesehen, ist kein Vogel so schön wie in freier Wildbahn. Doch ich bitte Eure Hoheit, dies eher als Inventar des Bekannten aufzufassen. Es ist eine Karte der Welt, nicht, wie von Kartographen plan projiziert, sondern so, wie sie ist.«
Man hatte den Globus schräg gestellt, um der Schiefe der Erde in Bezug auf die Ekliptik Rechnung zu tragen. Ein unerforschter Teil des Südpazifik lastete auf dem Sockel. Nicht weit davon präsentierte sich genau auf Kopfhöhe von Caroline der Südpol. Der Globus
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