Conte-Krimi - 13 - Hetzjagd am Grünen See
hinter Oliver West auf dem unbequemen Bock.
Steiner stieg aus seinem Geländewagen. Laut rief er: »Erwartest du wirklich, dass ich das ganze Stück rückwärts bis zur nächsten Abbiegung fahre?«
»Hat dir mein Vater nicht unmissverständlich gesagt, dass du Micky in Ruhe lassen sollst?«, kam es statt einer Antwort unfreundlich zurück.
»Der alte Idiot kapiert doch nichts«, plärrte Anne Richter dazwischen.
Steiner spürte, wie die junge Frau es wieder einmal schaffte, ihn aus der Reserve zu locken.
»Was willst du mit einer Frau im Wald?« Mit dieser Frage unterdrückte er mühsam seine Wut. »Willst du aus ihr einen Holzfäller machen oder sie flachlegen?«
Das war die richtige Bemerkung, Oliver West zu reizen. Sofort geiferte er zurück: »Glaub bloà nicht, dass alle so geil sind wie du! Warum verschwindest du nicht und lässt die Frauen im Dorf in Ruhe? Anne traut sich nicht mehr, allein durch die Dunkelheit zu gehen.«
Das war zu viel. Steiner ging auf das mobile Holzfällerfahrzeug zu, wollte diesen Kerl aus dem Cockpit zerren, um ihn zu verprügeln. Plötzlich hörte er Mickys Stimme hinter sich: »Wann fahren wir weiter?«
Ohne es zu ahnen, brachte Micky Steiner damit zur Vernunft. Eine Schlägerei würde ihm in jeder Hinsicht schaden â vor allem würde er Mickys Achtung verlieren, was ihm in diesem Augenblick am meisten bedeutete.
Gehorsam setzte er sich ans Steuer, fuhr den ganzen Weg im Rückwärtsgang bis zur Abbiegung zurück, von der er gekommen war. Innerlich kochte er vor Wut, fühlte sich bloÃgestellt. Aber dieses Gefühl musste er in Kauf nehmen.
»Warum hast du dich mit meinem Bruder gestritten?«, fragte Micky, während sie beobachteten, wie das ungelenke Fahrzeug langsam an ihnen vorbeifuhr.
Steiner überlegte, was er sagen wollte. Die naive Lebenseinstellung des Jungen hatte einerseits ihre Vorzüge. Aber in Momenten wie diesen konnte es auch eine Belastung sein. Er konnte Micky nicht sagen, dass sein Bruder unrechte Dinge tat, weil Steiner nicht wusste, wie Micky diese Aussage auffassen würde. Um seine Reaktion einschätzen zu können, müsste er zuerst wissen, wie er zu seinem Bruder Oliver stand.
»Ich wollte, dass er mir den Weg freimacht.«
»Aber das geht doch nicht mit dem komischen Auto, das Olli fährt.«
Steiner nickte. Deutlich erkannte er, dass er richtig gehandelt hatte.
Ohne weitere Begegnungen gelangten sie an den von Sicherheitsschranken gesäumten Platz des Kappellenbergs. Eingerahmt von alten Lindenbäumen stand dort die kleine Wallfahrtskapelle Unserer lieben Frau, die auf eine lange Geschichte zurückblickte. Mehrmals war sie neu aufgebaut worden. Weiteren Plünderungen zum Opfer gefallen, blieb sie seit dem Zweiten Weltkrieg verschlossen. Von ihren Wertschätzen fehlte jede Spur.
Auch die alte Hofscheune, ein ehemaliges Franziskaner-Kloster, war nicht verschont geblieben. In den letzten Jahren hatten sich dort Satanisten versammelt und ihre Blutrituale veranstaltet, dabei nicht nur Tiere getötet, sondern im Alkoholrausch auch Teile des antiken Bauwerks zerstört. Das alte Gemäuer sollte vor dem Verfall gerettet werden. Wie Steiner den Geräuschen entnahm, waren die Arbeiten in vollem Gange.
Sein Vorgesetzter Ernst Barbian hatte diesen Ort für das Schüsseltreiben im Dezember gewählt, was allerdings groÃe Renovierungsarbeiten nötig machte. Aber Steiner verstand, warum sich Barbian für die halb zerfallene Ruine entschieden hatte. Die Lage war schön, die Aussicht noch schöner.
Von dort sah Steiner bis zu der Baustelle der neuen Autobahntrasse, die lang ersehnte Verbindungsstrecke zwischen der deutschen und der französischen Autobahn für den internationalen Fernverkehr. Täglich konnte er den gelben Staub beobachten, der sich wie ein böser Geist durch den Wald bei Lisdorf schlängelte. Die Entstehung dieser StraÃe war nicht nur temporär von Bedeutung. Sie war die Wiedergeburt der Krummen Meile aus dem Mittelalter, eine HandelsstraÃe, die von Italien bis Flandern führte und dabei eine Station ganz in der Nähe unterhielt. Schon zur damaligen Zeit war diese StraÃe eine strategisch wichtige Grundlage für die Handelsbeziehungen zwischen den Ländern. Heute â tausend Jahre später â konnte Steiner von seinem Aussichtspunkt aus beobachten, wie sich die
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