Coogans Fluch (German Edition)
Feuers, die Belüftungen funktionierten demnach ausgezeichnet.
„Danke, Miriam“, murmelte Jonathan. Hätte ihn seine Schwester nicht in den Stollen geführt, läge er jetzt unter Tonnen Eis, Schnee und Geröll begraben. Dass er jetzt festsaß, störte ihn nicht weiter, solange man lebte, gab es immer eine Möglichkeit. Vielleicht gelang es ihm den Eingang frei zu graben und wenn nicht, dann musste er eben einen anderen Ausgang finden. Doch zunächst sammelte er am Boden verstreute Bretter zu einem großen Haufen. Später, vor dem wärmenden Feuer sitzend, riss er sein Ersatzhemd in mehrere Streifen, schnitzte Hölzer zurecht und fertigte sich einige Fackeln. Dann begab er sich zum Eingangsbereich des Stollens.
Was ihn dort erwartete, erstickte die Hoffnung sich an dieser Stelle aus eigener Kraft zu befreien. Massive Gesteinsbrocken und Unmengen an Geröll versperrten den Eingang. Schnell war Jonathan klar, dass er den nur mit Dynamit freibekommen würde. Zwar hatte er zwei Stangen in seinen Rucksack gepackt, doch schien es ihm zu gefährlich, den Eingang frei zu sprengen. Wahrscheinlich brachte er damit den ganzen Stollen zum Einsturz. Blieb also nur die Möglichkeit, nach einem anderen Ausgang zu suchen. Ein ebenso gewagtes Unterfangen, er besaß für höchstens drei Tage Vorräte und von außen durfte er nicht auf Hilfe hoffen.
Im flackernden Schein seiner Fackel schritt der Jäger zu seinem Lager, entfachte das heruntergebrannte Feuer und erwärmte über den Flammen eine Dose Bohnen. Er hatte in den vergangenen Wochen wenig geschlafen und er glaubte nichts zu verlieren, wenn er zunächst einige Stunden davon nachholte.
Nachdem er gegessen und sich in seinen Schlafsack gepackt hatte, starrte er zur Stollendecke, seine Gedanken wanderten in jene entfernte Zeit seiner Kindheit. Deutlich sah er die elterliche Farm in Georgia vor sich, einen Tagesmarsch von Atlanta entfernt. Er erinnerte sich an seinen Vater, hörte dessen tiefe, ernste Stimme, die niemals laut oder zornig geklungen und trotzdem keinen Wiederspruch erlaubt hatte. Das Gesicht seiner Mutter erschien ihm, die kummervollen Falten um ihre Mundwinkel, wenn sie ihn manchmal traurig betrachtete und schließlich seine Schwester, das zarte Wesen, die ihm schon immer die fehlende Hälfte seines Ichs gewesen war, so wie er die ihre.
Ohne dass es ihm bewusst gewesen wäre, traten die Bilder seiner Vergangenheit mehr und mehr hervor, gewannen an Realität und er tauchte in sie ein. Plötzlich war er wieder der schweigsame Knabe, um den alle Kinder der Nachbarschaft einen weiten Bogen machten und der seinen unbegründeten Zorn, der stetig in ihm nagte, nur in Gegenwart seiner Schwester zu zähmen vermochte. Der Jäger fühlte wieder jenen, ihn damals beherrschenden Wunsch, seine Wut und Kraft freien Lauf zu lassen, ebenso diese in sich selbst ruhende Stärke und Ausgeglichenheit, wenn seine Schwester in der Nähe war.
Miriam hingegen verhielt sich ohne ihren Bruder schüchtern, wenn nicht gar ängstlich und schien jeden Augenblick in Tränen ausbrechen zu wollen. War jedoch Jonathan zugegen, dann war sie die Güte und Herzlichkeit in Person, geschickt und selbstbewusst im Umgang mit jedermann. Niemand fand eine Erklärung, warum das so war, doch nachdem ihre Eltern sich mit dieser Besonderheit abgefunden hatten – eine weitere Prüfung Gottes, wie das Leben eben selbst, hatte die Mutter damals gesagt – gestatteten sie ihren Kindern, nur gemeinsam die Farm zu verlassen.
So waren die Zwillinge bald unzertrennlich und oft mussten sie sich den Spott der anderen Kinder gefallen lassen, die natürlich schnell herausfanden, dass Jonathan in Begleitung seiner Schwester so fromm wie ein Lämmchen war.
Jonathans Gedanken machten einen Sprung und er sah sich wieder jenem Ereignis ausgesetzt, das sein Leben so entscheidend verändert hatte. Es war Spätherbst gewesen, die Ernte eingebracht und gemeinsam mit dem Vater arbeitete Jonathan auf dem Feld. Der Vater führte ihren alten Braunen und Jonathan beschwerte mit seinem Gewicht den Pflug. Trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit schwitzten sie unter der schwülen Hitze. Nur selten erreichten die Temperaturen in den Wintermonaten den Gefrierpunkt und bis zum Jahreswechsel herrschten in Georgia meist milde Tage. Ihre Farm lag eine halbe Meile entfernt zu ihren Füßen, inmitten der weiträumig gerodeten Fläche eines sanften Tales. Nahe dem Haus verlief ein schmaler Wasserlauf, der die Farm mit
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