Coogans Fluch (German Edition)
entgegen. Höhnisch grinste er, zeigte nikotinverfärbte Zähne, dann sprang ihm Jonathan mit wirbelnden Fäusten entgegen. Der Junge war für sein Alter außergewöhnlich groß und stark wie ein Ochse. Gegen einen kampferprobten ausgewachsenen Mann jedoch, wie diesem Narbigen, richtete er nichts aus.
Katzengleich wich der Mann zur Seite und schlug Jonathan mit einer fast beiläufigen Bewegung die Faust an die Schläfe. Ächzend sackte der Junge auf die Knie, versuchte dennoch seine Hände in die Kleidung des anderen zu krallen. Abermals traf ihn ein Faustschlag, diesmal ins Gesicht. Er sank in bodenlose Finsternis. Wie aus weiter Ferne hörte er jemanden rufen: „Jetzt die Kleine, so ein saftiges, junges Stück kommt mir gerade recht!“ Jonathan sank weiter, nur ganz leise vernahm er Miriams verzweifelte Schreie, bevor ihn die Dunkelheit vollends verschluckte.
Seine nächste Empfindung waren die pochenden Schmerzen, die seinen Körper einhüllten, als wären ihre Rinder, eines nach dem anderen, über ihn drüber marschiert. Am schlimmsten dröhnte sein Schädel. Als er die Augen aufschlug, sah er sich dem sorgenvollen Gesicht Frau Handersson gegenüber. Die Handerssons waren die nächsten Nachbarn der McLearys. Wie Jonathan später erfuhr, hatten die Schüsse sie alarmiert und sie waren zu Hilfe geeilt. Wie sich zeigte, leider zu spät. Es blieb ihnen nichts weiter zu tun, als Jonathans Familie zu beerdigen und den halb tot geschlagenen Jungen mit sich nach Hause zu nehmen. Jonathan war fünf Tage ohne Bewusstsein gewesen und an diesem Tag, als er im Haus der Handerssons zu sich gekommen war, erlosch ein wichtiger Teil seiner Seele für lange Zeit. Diesen Teil nahm ab jenem Tag die hässliche Fratze des Narbigen ein und brennender Hass, der nach Rache schrie.
„Miriam!“ Der Ruf hallte von den Wänden wieder, während Jonathan auffuhr und in die Finsternis starrte. Knirschend mahlten seine Zähne, die Frische der Erinnerung hatte seinen Hass entfacht. Mit vor Grimm zitternden Händen entzündete er ein Feuer. Jeder Gedanke an Schlaf war wie weggewischt. Er musste hier raus, umso schneller, desto besser, wollte keine Minute länger als nötig auf seine Rache warten. Zu viele Jahre schon war ihm der Narbige entkommen. Die Vorstellung an jene Qualen, welche Miriam und seine Mutter vor ihrem Tod durchlitten hatten, verkrampfte sein Herz.
Es war an der Zeit, sich auf den Weg zu machen. Zunächst fertigte er weitere Fackeln, schnürte anschließend soviel Holz zusammen, wie er tragen konnte, schulterte Rucksack und Feuerholz, entfachte eine Fackel in der letzten Glut des Feuers und schritt tiefer in den Stollen. Wiederholt murmelte er den Namen seiner Schwester. Aber Miriam antwortete nicht.
Nach einiger Zeit gelangte Jonathan an einen Nebenstollen, wenige Minuten später an den nächsten und es folgten weitere. Ein dichtes Gewirr von Gängen und Schächten durchzog den Berg. Einige der Seitenstollen waren verschüttet, an manchen Stellen drang Wasser ein, und so hielt sich Jonathan weiterhin am Hauptstollen. Ohne Rast lief er weiter, Sunde um Stunde. Nur hin und wieder nahm er sich die Zeit und fertigte neue Fackeln, dann marschierte er weiter, zwängte sich durch halb verschüttete Bereiche oder watete durch hüfttiefes Wasser, doch nirgends fand Jonathan einen Hinweis auf einen Ausgang.
Irgendwann erreichte er eine weitere Einsturzstelle. Erst sah es aus, als gäbe es kein Durchkommen. Bis an die Decke schichteten sich Balken, Geröll und Felsbrocken, doch ein schwacher Luftzug zupfte an der Flamme der Fackel. Jonathan folgte dem Luftzug, schließlich entdeckte er den schmalen Durchbruch, halb hinter Teilen der Verschalung verborgen. Ungeduldig räumte der Jäger den Spalt frei, bis er glaubte, sich hindurchzwängen zu können. Mit vorgestreckter Fackel schob er seinen Oberkörper durch die Öffnung, drückte sich weiter. Es war eng, Rauch brannte ihm in Augen und Nase, er fühlte mehr, als dass er etwas sah, wie der Spalt breiter wurde und schließlich drückte es ihm nicht länger den Qualm der Fackel ins Gesicht. Vor ihm lag eine Tropfsteinhöhle und soweit der Schein seiner Fackel reichte, schimmerten die Kalkgebilde in allen Facetten und Farben. Manche erinnerten an zu Eis erstarrte Wasserfälle, oder an überdimensionale Samtvorhänge, andere reckten sich wie massige Wächter empor, während ihre Gegenstücke von der Decke herabwuchsen und danach zu trachten schienen, sich mit dem
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