Coolman und ich. Bonjour Baguette (German Edition)
Sprung!
Der letzte Abend meines Lebens verläuft ungewöhnlich ereignislos. Anti ist irgendwo mit dem Wagen unterwegs, Niki ist Late-Night-shoppen, und meine Eltern sind auch ganz entspannt, weil sie noch nicht bemerkt haben, dass ihr Auto nicht in der Garage steht.
Meine Mutter und mein Vater kochen gemeinsam. Dabei stecken sie sich gegenseitig immer wieder kleine Häppchen zum Probieren in den Mund und kichern dabei albern wie Teenager. An jedem anderen Tag des Jahres würde mich ihr verliebtes Rumgeturtel nerven.
Heute nicht.
Morgen werde ich mich aus einem Hubschrauber stürzen, und deswegen will ich mir das Bild meiner glücklichen Eltern einprägen.
Wer weiß, ob ich sie jemals wiedersehe.
Während des Abendessens stochere ich lustlos in dem Gemüseauflauf herum, den meine Eltern nach ihrem französischen Kochbuch zubereitet haben.
Ich habe keinen Appetit, aber das merken meine Mutter und mein Vater nicht. Sie reden die ganze Zeit von ihrem neuen Theaterstück. Dabei ist das gar nicht neu, sondern eine uralte Geschichte. Sie handelt von Ikarus und erzählt von einem jungen Griechen, der sich mit Wachs Federn auf die Arme geklebt hat und damit geflogen ist. Das klappte ganz gut, bis er zu nahe an die Sonne kam und die Hitze das Wachs zum Schmelzen gebracht hat. Ohne seine Federn ist Ikarus ins Meer gestürzt und dort jämmerlich ertrunken.
Falls ihn nicht schon der Aufprall erledigt hat.
Ein tatsächlicher Sturz aus großer Höhe ist genau das Gesprächsthema, das ich jetzt gebrauchen kann. Besser, ich gehe gleich ins Bett, um in Ruhe mein Testament zu schreiben.
»Ich wollte euch Danke sagen für alles, was ihr bisher für mich getan habt. Und ihr sollt wissen, dass ich euch ganz doll lieb habe. Euch und sogar Anti«, sage ich feierlich, als ich aufstehe.
Meine Eltern sehen mich verständnislos an. Ich drücke ihnen schnell einen Kuss auf die Wange, drehe mich um und laufe die Treppe rauf in mein Zimmer.
Warum soll ich ihnen den Abend verderben? Die kommenden Jahre ohne mich werden auch so schon hart genug für sie.
Ich lege mich ins Bett, schnappe mir einen Notizblock und meinen Füller und überlege, wem ich was vererben möchte. Falls Alex und Justin unseren Absprung überleben, kriegen sie meine Comics und meine Computerspiele, Anti kann mein Zimmer als zweite Gruftihöhle haben, Lena vermache ich meine CDs, damit sie ein schlechtes Gewissen hat, wenn sie sich die anhört, und Niki ... Niki vererbe ich COOLMAN.
Er ist das einzige Unersetzbare, was ich besitze. Bücher, Comics und CDs sind austauschbar. Davon gibt es Tausende. COOLMAN gibt es nur einmal, und es macht mich traurig, dass mir das erst so spät klar wird.
Ich bin zu müde, um mich auszuziehen. Einschlafen kann ich trotzdem nicht. Mir gehen alle möglichen Dinge durch den Kopf: Lena, der Bürgermeister, Anti, Niki, Mahmoud, Alex und Justin, meine Eltern, Justins Vater, MISTER HOT ...
MISTER HOT ist ein gemeiner Schurke, dem ich regelmäßig in meinen Träumen begegne. Im Traum bin ich SUPERFROSCH, die Amphibie für die unlösbaren Aufgaben, und MISTER HOT dicht auf den Fersen. Diesmal liefern wir uns in museumsreifen Doppeldeckern aus dem Ersten Weltkrieg einen Luftkampf über einem der sieben Weltmeere. Welches, ist von hier oben nicht zu erkennen. Von oben sehen die alle gleich aus, und eigentlich ist das auch völlig egal, weil das Maschinengewehr von MISTER HOT – Taktaktaktak– gerade den Motor meines Fliegers in Brand geschossen hat. Für einen kurzen Moment erwäge ich, mich mit meiner extralangen Superzunge an seine Trageflächen zu heften. Aber erstens ist er zu weit weg, und zweitens habe ich Angst, mit meiner Zunge in seinen Propeller zu geraten. Das täte bestimmt weh.
Mir bleibt nur eine Wahl: Ich muss aussteigen!
Als ich aus dem Doppeldecker springe, merke ich, dass ich den Fallschirm vergessen habe. Dafür kleben plötzlich überall Federn auf meinen langen Froscharmen und Froschbeinen. Ich bewege meine Arme und Beine wie ein Vogel seine Flügel, und tatsächlich: Ich fliege.
Aber nicht lange. Der teuflische MISTER HOT greift mich mit einem Heizstrahler an. Das Wachs auf meiner Haut schmilzt, die Federn lösen sich, und ich stürze kopfüber auf die spiegelblanke Wasserfläche unter mir zu. Das Letzte, was ich denke, ist: Ich hätte für die Federn COOLMANs Superultrakleber nehmen sollen ...
Genau wie Anti ist auch Niki keines von den Mädchen, um die man sich Sorgen machen muss. Und genau wie Niki war auch
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