Cop
Fernseher oder hier unten mit ihr am Klapptisch. Hoffentlich ist es auch heute so. Sie will nicht noch einen Tag warten. Sie will hier raus.
Seit sie die Luft der Außenwelt geatmet hat, kann sie ihr Gefängnis kaum noch ertragen. Sie muss dem Albtraumland entkommen.
Nein, es geht nicht anders: Heute wird sie fliehen.
Donald wird hinter dem Haus parken und in seinem Wohnwagen verschwinden. Ein paar Stunden wird er sich dort aufhalten, bevor er rüberkommt, um sich einen Teller Essen zu holen. Aber dann wird sie selbst schon weg sein. Denn Beatrice wird ihr das Abendessen vorher bringen, und sie wird unter der Treppe warten. Wenn Donald rüberkommt, wird Beatrice am Boden liegen, in einer Pfütze aus Blut, während sie ihrem Daddy in die Arme fällt.
Maggie wirft einen Blick zum Fenster. Die Schatten draußen werden länger. Es ist noch Nachmittag, doch der Abend rückt näher.
Bald kommt sie hier raus.
Maggies Finger krallen sich um die Waffe. Sie nickt sich zu.
Bald.
Diego fährt die Main Street hinauf zur Bücherei an der Ecke Wallace und Overhill. Georgia Simpson, die Bibliothekarin, hat angerufen – es gibt Ärger mit Fred Paulsons Sohn. Anscheinend ist der Kerl mitten in der Kinderabteilung umgekippt, natürlich sturzbesoffen, und Georgia hat keine große Lust, sich ihm zu nähern. Kein Wunder, denn ihrem Bericht zufolge hat er sich komplett vollgekotzt, bis runter zu den Stiefeln. Diego kann ihr nicht verdenken, dass sie nichts mit ihm zu tun haben will. Auch er ist nicht gerade scharf darauf, sich mit dem kleinen Arschloch herumzuschlagen. Paulson junior ist so missraten, dass ihm nicht mal sein eigener Vater einen Job gibt. Deshalb streift er tagein, tagaus durch die Stadt und baut Scheiße, wo er kann.
Als Diego die verwaiste Highschool passiert, rennt ein Hund, einer von Pastor Wardens Dackeln, aus dem Wald zu seiner Rechten auf die Straße.
»Scheiße!«
Diego steigt voll in die Bremsen. Gummi quietscht auf Asphalt, die Hinterräder brechen aus und beschreiben einen Viertelkreis nach links, bevor der Wagen mit knirschender Federung zum Stillstand kommt. Diego klammert sich ans Lenkrad, das Herz klopft ihm bis zum Hals. Nachdem er kurz durchgeatmet hat, wirft er einen Blick auf die Straße, doch der Hund ist nicht zu sehen. Und überfahren hat er ihn auch nicht, das hätte er mitbekommen.
Er schaut sich um – und entdeckt ihn am Rand seines Sehfelds.
Der Dackel steht links von der Straße auf dem Footballfeld der Highschool.
Diego fährt den Wagen rechts ran. Die Reifen wirbeln eine Staubwolke auf, die einen Augenblick in der sommerlichen Luft hängen bleibt, um sich dann allmählich wieder aufzulösen. Er wartet, bis ein Laster vorbeigedonnert ist, stößt die Tür auf und tritt ins Freie. In der rechten Hand hält er eine fettige Papiertüte, der Rest seines gestrigen Mittagessens: Chicken Wings aus dem Albertsons. Während er über das Footballfeld läuft, das noch ziemlich mitgenommen ist von der Langwanzen-Plage letztes Jahr, holt er einen Hühnerflügel aus der Tüte und grunzt eine Art Lockruf.
Noch ist der Dackel ziemlich weit weg, etwa ein halbes Footballfeld, doch er hebt sofort den Kopf und blickt sich um. Wahrscheinlich überlegt er, ob er sich für das, was da auf ihn zukommt, interessieren soll.
Außerdem hat er etwas im Mund. Einen Knochen, wie es scheint.
Diego bleibt stehen und pfeift. »Komm schon, Kleiner«, flötet er, geht in die Knie und hält ihm den Chicken Wing hin.
Brav setzt sich der Hund in Bewegung.
Der Knochen in seinem Maul, falls es einer ist, wirkt ziemlich groß, zu groß, um von einem Eichhörnchen, Erdhörnchen oder Kaninchen zu sein. Aber immer mal wieder fährt irgendwer ein Reh über den Haufen, also könnte der Knochen auch daher stammen.
Vor drei Jahren ist Carney Dodd, der mittlerweile wegen eines anderen Unfalls im Rollstuhl sitzt, mit seinem Pick-up in einen riesenhaften Hirsch gekracht. Das Tier muss eine Vierteltonne gewogen haben. Carney, der sich aus Prinzip nicht anschnallte, wurde durch die Windschutzscheibe geschleudert und knallte, sofern man seiner Erzählung trauen konnte, ganze sechs Meter weiter hinten mit dem Kopf voraus auf den Asphalt. Zum Beweis deutete er auf sein Gesicht – die Haut auf Nasenrücken und Stirn war komplett abgeschabt. Aber davon ließ er sich nicht einschüchtern, nein, kaum war er gelandet, rappelte er sich wieder auf, marschierte zum Wagen, holte seine Remington 1110 aus dem Kofferraum und jagte dem
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