Cop
verdammten Mistvieh eine Kugel in den Schädel. Behauptete er zumindest. »Nimm das, du Hurensohn!«, und so weiter.
Ja, vielleicht ist hier irgendwo ein junges Reh unter die Räder gekommen, das sich noch in den Wald schleppen konnte, bevor es endgültig verendet ist. Und vielleicht ist der kleine, langohrige Dackel drüber gestolpert und hat beschlossen, sich einen Bissen zu genehmigen.
So weit die Theorie.
Eine Überlegung, die schnell ins Wanken gerät, als der Hund näher kommt.
Es ist ein Knochen, aber er ist weiß und ohne Fleisch dran. Dafür mit einer Art Knoten am einen Ende, von dem ein paar schwarze, quastenartige Fäden hängen, vielleicht Sehnen, vielleicht Wurzeln. Und am anderen Ende, mein Gott, Scheiße, das ist ja eine Hand. Eine kleine, menschliche Hand. Drei Finger sind bis auf den Knochen abgenagt, einer fehlt ganz, hier und da klebt etwas Schwarzes, Haut oder halb zersetzte Muskelmasse oder was auch immer an den Knöcheln – wie ein fingerloser Autofahrerhandschuh.
Als der Dackel unmittelbar vor ihm steht, schnellt Diegos Hand nach vorne. Er packt den Hund am Nacken, zerrt ihn zu sich heran und zwängt seine Kiefer auseinander; er denkt nicht weiter nach, er weiß nur, dass er den Knochen aus dem Maul herausbekommen muss. Nach einem kurzen Kampf fällt das Ding ins Gras. Ein unwirklicher Anblick. Echte Arme hängen an echten Menschen, statt auf Footballfeldern herumzuliegen wie eine Budweiser-Dose nach einer bierseligen Nacht.
Diego klemmt sich den Hund unter den Arm, steht auf und blickt zu Boden. Auf den Knochen.
Das kann doch nicht wahr sein.
Ist es aber.
Der Dackel windet sich in seinem Griff und schnappt nach seinem Gesicht. Diego kann den Kopf gerade noch wegziehen. Er bringt den Hund rüber zum Wagen, setzt ihn auf die Rückbank und kurbelt das Fenster ein Stück herunter. Danach geht er zum Kofferraum, öffnet ihn und kramt ein Paar Handschuhe und eine große Plastiktüte hervor. Auf dem Weg zurück streift er sich die Handschuhe über.
Es fühlt sich seltsam an. Mitten auf dem Footballfeld hinter der Bulls Mouth Highschool liegt ein Arm ohne Körper.
Diego hebt ihn auf und lässt ihn in die Tüte fallen. Er muss die Finger zurückbiegen, damit er reinpasst und er die Tüte versiegeln kann. Zurück im Wagen legt er sie auf den Beifahrersitz und greift nach dem Funkgerät.
Mit einer Rolle gelbem Klebeband in der Hand betritt Diego den Wald. Ihm ist speiübel. Seit sechs Jahren ist er jetzt bei der Truppe, und gleich wird er seine dritte Leiche finden. Wenn er sie denn findet, denn das Waldstück der Deans ist ziemlich groß, und wer weiß, wie tief drinnen die Leiche vergraben ist. Aber wenn jemand ein Kind umbringt und den Wald als Ort auswählt, um den toten Körper möglichst ohne großen Aufwand loszuwerden, stehen die Chancen nicht schlecht, dass er ihn nicht weiter als zwanzig, dreißig Meter von der Main Street entfernt verscharrt hat. Das reicht, um von der Straße aus nicht mehr gesehen zu werden, und ist nah genug, um das Auto einfach rechts ranzufahren, die Leiche samt Spaten durchs Unterholz zu tragen und eine flache Grube zu buddeln, um nach getaner Arbeit zum Wagen zurückzukehren und wegzufahren, bevor es jemandem auffallen würde. Wegen der alten Rostlaube am Straßenrand würde sicher niemand Verdacht schöpfen. Autopannen gehören zum Alltag. Die meisten Leute würden so einen Wagen sofort wieder vergessen, falls er nicht zufällig einem Bekannten gehört.
Wie klein der Arm war. Das Kind, dem er gehört hat, kann nicht mehr als fünf oder sechs, höchstens sieben Jahre alt gewesen sein. Jetzt sind nur noch die Knochen übrig, und ein paar Fetzen ledriges Fleisch. Es muss schon sehr lange tot sein.
Und irgendwo weint immer noch eine Mutter.
Diego hat keine eigenen Kinder, doch seit vier Jahren kümmert er sich um seinen Neffen Elias, der inzwischen neun ist. Elias’ Eltern, Diegos kleine Schwester und ihr Mann, sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, nur der Junge hat überlebt. Und so sind Diego und Cordelia zu seinen Eltern geworden, ja, in den letzten Jahren hat er sich tatsächlich an den Gedanken gewöhnt: Elias ist sein Sohn. Was, wenn er plötzlich verschwinden würde – und einige Zeit später findet jemand seine ausgebleichten Knochen im Maul eines streunenden Hundes?
Unvorstellbar.
Auf dem Weg durch den Wald wickelt Diego kleine Streifen Klebeband um die Äste der Bäume, um seinen Pfad zu markieren. Als Kind hat er sich einmal richtig
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