Cop
noch ein bisschen gedulden. In etwa zwei Stunden wird Beatrice runterkommen. Dann wird sie sich unter der Treppe verstecken und …
Ein metallischer Knall auf der anderen Seite der Kellertür – der Schlüssel wird herumgedreht, der Riegel zurückgeschoben.
Schnell wirft sie einen Blick zum Fenster. Nein. Nein, das kann nicht sein. Es ist viel zu früh. Donalds Wagen ist noch gar nicht die Einfahrt heraufgerollt. Es ist viel zu früh.
Soll sie es trotzdem tun? Oder soll sie warten? Da ist irgendetwas im Gange, etwas, das sie nicht versteht, aber wenn sie wartet, bekommt sie vielleicht keine zweite Chance.
Da läuft irgendetwas aus dem Ruder. Irgendwie ist alles falsch. Alles ist falsch, falsch, falsch.
Borden hat sie verraten. Borden ist doch keine Einbildung, und er hat sie verraten. Er will, dass sie für immer im Albtraumland bleibt. Für immer und immer und immer. Er will nicht allein sein, er …
Er ist eine Einbildung. Es gibt keinen Borden. Es hat ihn nie gegeben.
Mit einem Knarren öffnet sich die Tür. Ein massiger Umriss erscheint im Rahmen. Beatrice. Beatrice kommt herunter. Aber sie hat keinen Teller in der Hand, sie bringt ihr nicht das Abendessen. Wie auch, dafür ist es viel zu früh. Weil die Schatten noch nicht lang genug sind, weil Henry noch zu Hause ist. Bis in den Keller hört sie seine tiefe Stimme, die die Dielen über ihrem Kopf vibrieren lässt. Aber da sind auch noch andere Stimmen, die sie weniger hört als fühlt. Sie vibrieren anders als Henrys Stimme. Was ist da nur los?
Maggie verzieht sich in die Schatten unter der Treppe, das selbst gebastelte Messer in der verschwitzten Hand. Was soll sie tun? Soll sie es verstecken? Oder soll sie zustechen? Vielleicht bekommt sie keine zweite Chance.
Die fremden Stimmen über ihrem Kopf. Der unerklärliche Krach. Henrys wütendes Geschrei. Vielleicht ist es ihre einzige Chance.
Eigentlich wollte sie warten, bis er weg ist. Normalerweise würde er in ein paar Stunden gehen.
Aber heute ist nichts normal. Vielleicht wird er nie wieder gehen. Sie hat keine Ahnung, was da los ist. Sie kann sich auf nichts mehr verlassen.
Und sie darf ihre einzige Chance nicht verstreichen lassen.
Also wird sie handeln. Sie wird zustechen. Dann wird Beatrice schreien. Der Schrei wird Henry anlocken – und wenn er die Treppe runtergelaufen kommt, wird sie auch ihm die Knöchel aufschlitzen. Wahrscheinlich wird er nicht besonders lange liegen bleiben, aber egal. Sie muss nur die Treppe rauf und aus der Haustür rennen, dann wird alles gut.
Sie kann es schaffen.
Sie kann es immer noch schaffen.
Die oberste Stufe knarrt, als Beatrice sich auf den Weg macht. Ihr Atem klingt seltsam, noch schwerfälliger als sonst, irgendwie zähflüssig. Träge schleifen ihre Füße über die Holzstufen. Jede einzelne gibt unter ihrem Gewicht nach.
»Sarah?«
Maggie schweigt. Sie steht im Dunkel unter der Treppe, die Waffe in der Hand. Die Luft bleibt ihr in der Kehle stehen. Sie wartet.
Beatrice tritt auf die nächste Stufe. Zwischen den Brettern, unmittelbar vor Maggies Augen, taucht ihr rechter Fuß auf. Weißes, weiches Fleisch. Wenn sie will, könnte sie es berühren. Oder zerschneiden.
T u’s.
Das Herz klopft ihr bis zum Hals.
Ihr Gesicht fühlt sich taub an.
Tu’s. Du weißt, dass du es kannst. Du musst es tun, also kannst du es tun. So einfach ist das.
Sie ist nicht schwach. Sie ist stark, stark genug, um zu tun, was getan werden muss. Das weiß sie, Daddy hat es ihr gesagt: Du bist ein starkes, mutiges Mädchen. Einmal meinte er, sie sei der tapferste Mensch, den er kennt.
Beatrice bewegt das linke Bein. Und stellt den linken Fuß neben den rechten.
Maggie hebt die Waffe und rammt die Klinge mit beiden Händen in das nackte Fleisch.
Ein roter Strich auf makellosem Weiß.
Blut tropft auf Maggies Hände und Arme, heißes Blut, viel heißer, als sie gedacht hätte.
Und Beatrice schreit.
Zurück. Am westlichen Horizont steigt die Sonne auf. Am blassen, jeansblauen Himmel verdichten sich die Wolken wieder, die zuvor vom Wind zerfasert wurden. Autos rasen rückwärts über die Straßen. Die Scherben eines Bierglases erheben sich von den Fliesen, setzen sich wieder zusammen und schweben hinauf in Roberta Blocks rechte Hand, die das Glas ins seifige Spülwasser taucht und mit Dreck beschmiert. Ein Truthahngeier segelt rückwärts über die Landschaft. Genevieve Paulson sitzt im Gästezimmer ihrer Eltern auf dem Bett, Tränen rinnen ihre Wangen hinauf und
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