Copyworld: Roman (German Edition)
Die
eigentliche Bezahlung sind nicht Geschenke und Privilegien – ich bezahle die
kläglichen Bruchteile einer Illusion mit den Fetzen, die ich aus mir selbst
reiße, und die sie gierig in sich hineinschlingt, gierig und bedenkenlos. Einst
wird sie mich vollständig gefressen haben, aber dann bin ich in ihr, werde sie
beherrschen wie ich Copyworld beherrsche!” Beryll knirschte mit den Zähnen, in seinen Augen lohte ein
vernichtendes Feuer. “Das ist aber ein anderes Spiel”, sagte Hyazinth
friedlich. Die Leidenschaft Berylls, der seinen Stolz völlig vergessen zu haben
schien, hatte ihn beeindruckt, und sie ermöglichte ihm, an die Ehrlichkeit der
Worte zu glauben. Wenn Beryll diesmal die Wahrheit gesprochen hatte, war die
Glut in seinem Kopf unvergleichlich heißer, als die Flamme, die Jade in
Hyazinth entfacht hatte. Der Gedanke, sich selbst aufzugeben – selbst um den
Preis, Jade dann eines Tages wirklich und vollständig zu besitzen – war
Hyazinth nicht einmal im Traum gekommen. Auch er hatte seinen Stolz.
“Das ist kein Spiel”, sagte
Beryll tonlos. “Es ist Kampf auf Leben und Tod, aber nicht um einen Menschen,
sondern gegen ihn. Jade liebt keine Spielerei, sie stürzt sich auf einen Mann
und schlägt ihm die Krallen in die Kehle, wenn immer er sich wehrt. Du, lieber
Hyazinth, hast dich nicht gewehrt, deshalb hat sie dir nicht die Gurgel
zerrissen. Doch eines hat sie noch nicht begriffen: Die Waffe der alten Männer
ist das Gift…”
“Hör auf zu jammern, Beryll”,
sagte Hyazinth versöhnlich. “Du bist gerade zwanzig Jahre älter als Jade und
ich, da beginnt das Leben doch erst richtig.”
Der Oberste Projektant seufzte
und antwortete: “Vielleicht hast du recht. Kindheit ist wie die Aussaat,
Jugend die Keimung, Reife und Ernte folgen. Wenn aber der Keimling nicht gehegt
und gepflegt wurde, wie soll ein Leben reifen und Ernte eintragen?”
“Du bist einer der größten unter
den Märtyrern, was willst du mehr?”
“Ein einsames Leben ist nur ein
halbes Leben.”
“Aber dein hoher Rang allein
sollte doch genügen, dir genug Respekt und Ansehen zu verschaffen, um Frauen …”
“Quatsch!” unterbrach ihn Beryll
heftig. “Alles Quatsch! Rang und Würden haben keinerlei erotische
Attraktivität. Sie führen in ausweglose Einsamkeit, denn sie schrecken
diejenigen ab, die ein aufrichtiges Interesse am menschlichen Inhalt dieser
edlen Formen haben, und sie ziehen Lügner und Heuchler an wie das Licht die
Motten. Wer sich einbildet, mit gesellschaftlichem Status irgendwelche
persönlichen Mängel kompensieren zu können, ist ein bedauernswerter Irrer. Das
Sprichwort der alten Italiener stimmt nicht: Hast du Geld, bist du schön. Du
hast lediglich die Möglichkeit, dir von Heuchlern und Betrügern Illusionen zu
kaufen. Nur das eine zählt: echte Schönheit. Wie oft habe ich das erlebt, daß
Frauen, die mit Leidenschaft die charakterlichen Vorzüge ihrer ansonsten nicht
sehr attraktiven Partner priesen, sich irgendwann im Bett eines stumpfsinnigen
Schönlings die Seele aus dem Leib brüllten, um im Augenblick des Höhepunktes
ihrer erbärmlichen Lust zu schreien: Ich verlasse ihn, ich trete ihm in den
fetten Arsch, ich bringe ihn um! Und das arme Schwein von Mann war gerade
dabei, ein auserlesenes Abendessen zu zaubern, die Kerzen zu entzünden und sich
dabei in freudiger Erwartung immerzu zu vergewärtigen, was für eine prachtvolle
Partnerin er doch habe, der man aus ganzem Herzen wünschen muß, daß sie in
ihrem Gesangszirkel bald zur Solistin avancieren wird…”
Hyazinth war nachdenklich
geworden. Sein Bild von Beryll war tatsächlich sehr oberflächlich gewesen.
Diese zwanzig Jahre Altersunterschied mußten für den Mann schlimme Erlebnisse
und Erfahrungen gebracht haben. Womöglich hatte er recht: Es gibt wirkliche
Liebe nur unter Menschen, denen als erste Voraussetzung vom Schicksal Schönheit
geschenkt wurde. Früher hatte Hyazinth dieses Problem mit unbedachten Worten
abgetan, denn er galt immer als äußerst attraktiv und also begehrenswert. Und
hatte er dank dieses unschätzbaren Privilegs nicht ebenso schmarotzt an der
Hoffnung anderer, wie Beryll es auf völlig verschiedene Weise tat? Hatte er
jemals die Wünsche und Sehnsüchte seiner vielen Gefährtinnen in seine Absichten
einbezogen? War es das, was Beryll meinte, als er sagte, immer nur mit
Kieselsteinen gespielt zu haben?
Es war wie immer: Hyazinths
Gefühle änderten sich beinahe übergangslos. Er legte dem
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