Crime
fühlte er sich bloßgestellt: nackt und verkommen. Eine Lippe, von der der Sabber tropfte.
Er war ein paar Jahre, nachdem er bei einer Baufirma in Livingston eine Schreinerlehre gemacht hatte, zur Polizei gegangen. Die Vektoren Ausbildungschance und jugendliche Begeisterung trafen sich im Graduiertenprogramm der Polizei, und man schickte ihn mit vollem Stipendium auf die Heriot-Watt University, seinen Bachelor in Informationstechnologie zu machen. Les Brodie, sein bester Freund aus Kindheitstagen, hatte sich neben seiner Klempnerlehre den Hearts-Casuals angeschlossen, um das in ihm brodelnde Testosteron irgendwo rauszulassen. Aber die Polizei war eher Mittel als Zweck für ihn. Lennox dagegen hatte eine Mission, ein verstecktes, nur vage umrissenes Streben, das in den vergangenen paar Monaten stärker hervorgetreten war als je zuvor.
Das Polizistenleben war ihm nicht leichtgefallen. Das Etikett des ungeselligen Einzelgängers, das er sich zuerst in der Schule, dann in der Lehre erworben hatte, schien ihn gnadenlos verfolgen zu wollen. Er war der erste der neuen Spezies, der Cop mit Bildung, der Polizeiarbeit als Bündel unterschiedlicher Disziplinen betrachtete– Psychologie, Soziologie, Kriminologie, Informationstechnologie, Forensik und Public Relations– und sich damit den Zorn der alten Garde zuzog, für die Polizeiarbeit weiterhin auf der Straße stattfand. Hinzu kam die soziale Isolation, die die Polizeiarbeit mit sich brachte. Einer von Ray Lennox’ schmerzlichsten Momenten als Neuling war, als er Dienst im Polizeirevier Haymarket hatte. Nach einer kleineren Fußballrandale wurde Les Brodie zusammen mit ein paar anderen Jungs eingeliefert. Sie sahen sich kurz in die Augen, dann wandten sich die beiden einander entfremdeten Freunde gleichzeitig beschämt ab, aber nicht, ohne zuvor die Demütigung des anderen miterlebt zu haben. Lennoxversteckte sich für den Rest der Schicht hinten im Büro, wand sich vor Verlegenheit und war erleichtert, dass Brodie schon entlassen war, als er am nächsten Tag wieder zum Dienst erschien.
Nun, am Rande des Freeway, der die mondbeschienene Sumpflandschaft durchschneidet, guckt Tianna ihn mit einem beunruhigenden Ausdruck neckischer Nachsicht an.– Ich wette, du warst süß, als du jünger warst.
– Da würden dir eine Menge Leute widersprechen, sagt er barsch.– Und außerdem wissen wir ja auch nicht, wie du sein wirst, wenn du älter bist. Vielleicht gehst du ja aufs College, bekommst einen guten Job und machst Karriere, spekuliert er optimistisch, sieht sie dann scharf an und fragt:– Wie kommst du darauf, dass dich keiner heiraten würde?
– Vince … und dann Clemson. Die haben gesagt, wenn ich je erzähle, was ich getan hab, dann wär ich für die Ehe ruiniert.
– Du hast gar nichts getan. Es waren diese Dreckskerle, die was Schlimmes getan haben, nicht du. Er haut wütend auf die Motorhaube.– Vergiss das nie, sagt er,– niemals.
Tiannas große Augen betrachten ihn ruhig im silbrigen Licht des Mondes, doch er weiß, dass seine Wut sie genauso ängstigt, wie seine Worte sie beruhigen. Mit sanfterer Stimme fügt er hinzu:– Wenn du mal ans Heiraten denkst, und das wirst du höchstwahrscheinlich, dann mit einem netten Kerl, der dich liebt und respektiert.
– So wie du Trudi liebst und respektierst, stimmt’s?
– Aye, keucht er.
– Hat Trudi einen guten Job und macht Karriere?
– Aye, irgendwie schon, ich meine, doch, ja, räumt Lennox ein, schwächelnd angesichts seiner eigenen egozentrischen Arroganz. Er schmälerte Trudis Leistungen. Dabei hatte sie es bei Scottish Powers gut getroffen, war ein paarMal befördert worden, galt als erfolgreich. Er bildete sich so viel auf seine Arbeit ein, dass er vor Dünkel triefte und Geringschätzung gegenüber anderen ausstrahlte. Er empfindet den zarten Schmerz des Bedauerns, und wenn sie da gewesen wäre, hätte er sie um Verzeihung gebeten und es vollkommen aufrichtig gemeint.
So minimal sie auch sind, die Gespräche mit Tianna sind für ihn wie Feuerstöße aus einer AK 47. Sie lassen ihn völlig durchsiebt zurück, viel fassungsloser, als wenn er als Cop mit Opfern sexuellen Missbrauchs spricht. Hier kann er keine Rolle ausfüllen, hier hat er keine Marke, hinter der er sich verstecken kann. Aber solange sie bei ihm ist, ist sie zumindest nicht in den Händen solcher Monster wie Dearing, Johnnie und sogar Chet, soweit er weiß. Er denkt über die Hank-Aaron-Karte nach.
– Als deine Mum krank war
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