Cruzifixus
hindurch:
„Alles im Leben hat zwei Seiten: du kannst ein Weib von vorn oder von hinten nageln. Erst wenn du beide Seiten kennst, weißt du was gespielt wird. Ein Mord geschieht nur selten im Affekt – da täuschen sich die Vertreter der Akzidenz-Theorie. Die meisten Mordtaten werden von langer Hand vorbereitet – so schwuppdiwupp bringt man niemand um! Was geschieht, geschieht nach Plan! Denk an ein Blatt oder eine Pusteblume, schau dir den Löwenzahn auf der Wiese an: jedes Teil ist in sich stimmig, ist in sich harmonisch – das kann kein Zufall sein! Die Struktur einer Sache – das und nichts sonst ist entscheidend.“
Simon blieb bei seinen Leisten:
„Aber wo ist bitte schön das Motiv? Wie soll man das Profil eines Psychopathen zeichnen?“
Das süffisante Lächeln des ewigen Besserwissers kulminierte in der wegwerfenden Handbewegung eines selbstgefälligen Selfmademans:
„Gesetzt der Fall, es geht gar nicht um die Person Paintingers! Vielleicht war er bloß eine Randfigur, eine lokale Größe und nicht mehr. Um an die Dame und den König ranzukommen müssen bekanntlich zuerst die Bauern dran glauben. Nehmen wir nur mal an, dass man Paintinger beseitigt hat, um einer rivalisierenden Bande, Loge oder Geheimgesellschaft eine unmissverständliche Warnung zukommen zu lassen. Der Mord als Chiffre, der eine sublime, unterschwellige Botschaft übermittelt und dessen Code nur der Adressat kennt!“
Was sollte er von diesen vieldeutigen, doppelbödigen Gerede halten? Ein bestialischer Mord mit Symbolgehalt? Hatte der Wahnsinn tatsächlich Methode? Sollte er Vinzenz auf den gefährlich, abgründigen Weg ins Zwielicht des Rätselhaften, Enigmatischen und Emblematischen folgen?
„Hast du eine Vermutung wer hinter der Sache steckt?“
Ein den Niederungen der kasuistisch, kartesianischen Welt entrücktes Lächeln umspielte die Mundwinkel des „Meisters“:
„Die Neo-Templer! Die Prioren des obersten Ordens! Das Konsilium der Jünger Judas! Wer weiß, wir befinden uns in einer Zeit gewaltiger Umbrüche und Umwälzungen, in einer Zeit in dem das Ringen um die Verteilung der Ressourcen apokalyptische Ausmaße annimmt. Hinter den Kulissen der Weltbühne tummelt sich eine Unzahl konspirativer Konsortien und satanischer Syndikate – Freimaurer, Zelotenzellen, spiritistische Zirkel. Diese Geheimbünde hüten eifersüchtig ihren Korpus Hermeticum, haben ihre eigene Symbolik und Heraldik und kochen ihr eigenes Süppchen. Gemeinsam ist ihnen jedoch der Glaube an die Existenz einer numinosen Weltformel, eines okkulten, fünften Elements. Ja jede dieser kultischen Vereinigung betet auf ihre Weise insgeheim das höchste Wesen der Vernunft an.“
Ungerührt konstatierte Simon:
„Den Teufel, wie ich wohl annehmen darf!“
Die Augen des Meisters leuchteten wie bei der Bescherung unterm Baum:
„Der erste Erleuchte auf Erden war der Engel des Lichts, Luzifer höchstpersönlich! Die Gruppen, die sich dem von ihm gewiesenen Weg der Erkenntnis, der Gnosis verschrieben haben, praktizieren die sieben freien hermetischen Künste: die Alchemie, die Numerologie, die Aleatorik, die Gemiatrie, die Divinatorik, die Geomantie, die Kombinatorik. Da Sie sich mit ähnlichen Dingen beschäftigen kommen sich diese im weitesten Sinne satanistischen Vereinigungen immer wieder in die Quere, bespitzeln und verdächtigen sich gegenseitig.“
Mit der bedeutungsvollen Miene eines Zauberkünstlers im Varieté entfaltete Vinzenz eine Banknote:
„Schau dir das Motiv auf den Geldschein einmal genauer an.“
Simons Blick fiel ins Leere, seine Gedanken schweiften ab:
„Was soll auf dem Schein schon sein. In Paintingers Portemonnaie fanden sich übrigens 160 Euro – in kleinen Scheinen! Was sagst du dazu?“
Spitzfindig beschied Vinzenz:
„Das sich ein Raubmord ausschließen lässt! Und – fällt der Groschen?“
Simon stand auf der Leitung. Ärgerlich erwiderte er:
„Was soll schon sein mit dem Scheißschein? Auf der blauen Europaflagge leuchten 12 gelbe
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