Culpa Mosel
die Tür zum Obduktionsraum aufhielt. Sein am Untersuchungstisch beschäftigter Assistent Bruno wandte ihnen, wie meist, grußlos den Rücken zu. Nur das leise Schleifen des Fadens war zu hören, das beim Zusammennähen von Haut entstand. Weiter hinten lief ein Wasserhahn.
»Um es vorwegzunehmen, Todesursache ist eindeutig Herzversagen. Das wird dem Täter vielleicht gar nicht recht gewesen sein, wo er sich so viel Mühe damit gegeben hat, das Badewasser auf eine höllisch heiße Temperatur zu bringen. Die Adrenalinausschüttung liegt in einem Bereich, den vergleichbar ein Mensch erreicht, der aufgrund eines Unfalls oder in suizidaler Absicht aus dem Flugzeug fällt, ohne Fallschirm, versteht sich. Wenig später wäre sie an der Verbrühung gestorben. Das Eiweiß in den betroffenen Hautzellen ist geronnen.«
Walde beobachtete, wie Grabbe um den Tisch herumging, um vom Kopfende her die Leiche der alten Frau zu betrachten.
»Es kommt noch was hinzu …«, Hoffmann fasste sich mit der linken Hand ans Ohrläppchen. Er zupfte nervös daran, als prüfe er, ob es noch festsaß. »Das habe ich nicht bemerkt, weil ihr die Haare über das Gesicht hingen …« Er räusperte sich. »Also … ihr wurde die Zunge abgeschnitten. Das ist post mortem geschehen. Im lebenden Zustand hätte allein diese Verletzung einen tödlichen Blutverlust bewirkt. Wenn Sie mal schauen möchten?«
Grabbe beugte sich über die Leiche. »Nein!« Er blies die Luft aus.
»Der Mörder wollte einerseits sein Opfer grausam leiden lassen und andererseits ein Zeichen setzen.« Hoffmann machte eine Handbewegung, als wolle er seine Worte wie Kreide von der Tafel wischen. »Das ist nur meine ganz persönliche Meinung.«
»Wo könnte die Zunge abgeblieben sein?«, fragte Grabbe vollkommen unbeeindruckt von dem, was er gerade gesehen hatte. »Sattler scheint sie jedenfalls nicht gefunden zu haben.«
»Die Toilette runtergespült, vielleicht ist sie in der Leuk oder in der Saar gelandet«, mutmaßte Hoffmann. »Oder als Trophäe behalten – wie Gis die Ohren der Vietcong im Vietnamkrieg oder der Skalp bei den Indianern.« Der Mediziner ließ sein Ohrläppchen wieder los. »Bruno, hilf’ mir mal bitte!«
Die beiden hoben die Leiche in eine sitzende Position.
»Das Wasser in der Wanne hatte eine Temperatur von mindestens siebzig Grad. Am deutlichsten sind die Spuren am Rücken.« Hoffmann zeigte auf die dunkel verfärbten Hautpartien im Bereich der Hüfte und Taille. »Wie stark das Opfer sediert war, werden die toxikologischen Ergebnisse zeigen.«
Als die beiden die Tote wieder auf den Rücken gelegt hatten, quittierte Bruno den Dank seines Chefs mit einem knappen Kopfnicken. Während sein Blick Walde streifte, schien etwas wie ein Lächeln in seinen durch die dicken Brillengläser vergrößerten Augen zu erscheinen.
Freitag
Als Walde aufwachte, war Doris bereits aufgestanden. Hinter Mathildas leerem Bettchen dämmerte der Morgen. Die Vögel in den nahen Bäumen sangen so laut, wie sie es nur zu Frühlingsbeginn taten.
In der Küche war niemand. Das Radio lief. Auf dem Tisch stand die Müslidose, daneben lagen der Deckel und die offensichtlich bereits gelesene Zeitung. Während der Kaffee in die Tasse lief, füllte Walde eine Schale mit Müsli und Joghurt. Was war das für eine fette Überschrift auf der Titelseite? SADISTISCHE GRÄUELTAT – Alte Frau grausam zu Tode gequält.
Seufzend las er Details des Tatablaufs, die keinesfalls im Polizeibericht erwähnt sein konnten, falls überhaupt schon eine Pressemitteilung herausgegangen war.
Während er sich den ersten Löffel Müsli in den Mund schob, dachte er darüber nach, wer die Informationen an die Presse gegeben haben könnte. Würde es sich um einen seiner Kollegen aus dem Trierer Präsidium handeln, so wäre längst auch etwas über den Toten aus der Mosel veröffentlicht worden. Zuerst kam ihm Bruno, der Assistent aus der Gerichtsmedizin, in den Sinn, dann dachte er an Hauptwachtmeister Knopp, den recht mitteilsamen Saarburger Polizisten. Die Küchentür wurde aufgerissen. Annika stürmte herein. Sie hielt eine Fotokamera in der Hand, stützte ihm gegenüber die Ellenbogen auf den Tisch und drückte auf den Auslöser.
»Was soll das werden?« Wieder wurde er von einem Blitz geblendet.
Sie kicherte, während sie die Kamera über den Müsliteller hielt und noch einmal abdrückte. »Steht alles an der Tafel.«
Gestern Abend hatte er es vergessen. Nun nahm Walde das mit einem Magnet an die
Weitere Kostenlose Bücher