Daddy Uncool
geschmeckt«, sagte Mel. »Und was hat das zu bedeuten?«, fragte sie plötzlich. Sie deutete auf die beiden Biergläser. Wenn ich ein Biertrinker war, warum standen hier zwei leere Gläser neben einem verdächtigen Rest Orangensaft?
»Manchmal brauchen auch die leidenschaftlichsten Biertrinker eine Abwechslung«, erklärte ich.
»Ich nicht«, sagte Mel. »Ich bin immer mit Bier zufrieden, wenn ein T in dem Wochentag vorkommt.«
Diese Art von Ehrlichkeit konnte ermüdend sein. Bei Mel schien sie nur Fröhlichkeit zu enthalten. Ich mochte das, weil es überhaupt nicht affektiert wirkte. Die Gleichung war sehr simpel: Weil Mel freiheraus sprach, konnte man ihr vertrauen; sie verbarg nichts. Sie wirkte vertrauenswürdig.
»Erzählen Sie mir von dem Callcenter«, bat ich.
»Ich wünschte, da gäbe es etwas zu erzählen«, sagte Mel. »Es ist nicht besonders aufregend. Wir hatten nicht viele Anrufe, da es ja mitten in der Nacht war. Ein paar Betrunkene, vermute ich jedenfalls, obwohl sie gegen Ende der Schicht anriefen. Ich sitze in einer Kabine unter grellem Licht vor einem Computer mit einem Headset auf dem Kopf. Ich beantworte die Fragen der Kunden. Wenn ich sie nicht beantworten kann, folge ich den Anweisungen auf dem Computer. Wenn ich sie dann immer noch nicht beantworten kann, verbinde ich den Kunden mit dem Manager. Ich habe zwei fünfzehnminütige Pausen und in der Mitte der Schicht eine halbstündige Essenspause. Da stehen eine Menge Automaten mit ekligen Sachen, die man kaufen und in der Mikrowelle erhitzen kann.
Ich bringe mir meistens Sandwiches oder Reste von zu Hause mit. Es sind hauptsächlich die Kerle, die den Abfall aus den Automaten essen.«
»Das klingt nicht sehr spaßig.«
»Ach, so schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte sie. Sie nippte an ihrem Bier. »Glauben Sie mir, ich habe schon Schlimmeres gemacht. Es ist regelmäßige Arbeit, aber im Grunde langweilig. Man fühlt sich sehr einsam, obwohl man den ganzen Tag mit Leuten am Telefon spricht.«
Ich nickte zustimmend. Ich kannte das Gefühl.
»Erzählen Sie mir doch von diesem Coffeeshop«, sagte Mel. »Wann wollen Sie starten?«
»Die Handwerker sind fast fertig. Also bald - in den nächsten Wochen, hoffe ich.«
»Was erwarten Sie von Ihrem Team?«
Ich war einen Moment verblüfft. Ich wusste genau, welche Leute ich nicht haben wollte. Ich hatte gerade drei Musterexemplare in den letzten eineinhalb Stunden getroffen. Aber mir war nicht klar, wonach ich eigentlich suchte. Ich hatte gehofft, die Person würde einfach auftauchen, und ich würde es wissen.
»Was denken Sie, wonach ich suchen sollte?«, fragte ich, einen brillanten Managertrick anwendend, auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu reagieren.
Mel überdachte die Frage kurz.
»Lassen Sie mich mal überlegen«, sinnierte sie. »Er müsste gut mit Leuten umgehen können«, sagte sie endlich. »Sie wissen schon, auf die Kunden achten, dafür sorgen, dass sie alle zufrieden sind. Er müsste eine Menge Sachen gleichzeitig machen können. Und
die Kunden müssten Lust haben, in das Café zu kommen. Jeder, der hinter dem Tresen steht, sollte fast wie ein Freund für sie sein. Alle sollten die Namen der Gäste kennen, wie bei Cheers . So ungefähr stelle ich mir das vor.«
»Ich glaube, dann bin ich Sam.«
»Ich könnte Carla sein.«
»Was ist Cheers?«, fragte Caitlin.
»Eine Fernsehshow«, sagte Mel. »Sie läuft aber nicht mehr.«
»Woher kennen Sie Cheers ?«, fragte ich. »Sie sind viel zu jung, um die Show im Fernsehen verfolgt zu haben. Wessen Gedächtnisimplantate benutzen Sie?«
»Satellitenfernsehen«, erwiderte Mel. »Wenn man alleinerziehende Mutter ist, sieht man eine Menge von dem Zeug.«
Alleinerziehende Mutter?
Ich dachte kurz nach. Könnte das zu Problemen führen? Würde sie todmüde sein, weil sie die ganze Nacht nicht schlafen konnte? Würden sich Probleme ergeben, wenn sie der Babysitter versetzte? Würde sie ungepflegt und mit Erbrochenem bekleckert am Morgen zur Arbeit kommen?
»Wie alt sind Ihre Kinder?«, fragte ich.
»Er ist dreizehn«, sagte Mel.
»Dreizehn?«, fragte ich, ohne meine Überraschung zu verbergen.
»Ich war sehr jung«, sagte Mel, als habe sie das schon bei zahlreichen Gelegenheiten erklären müssen. Arbeitgebern, Bekannten, den Behörden, Lehrern. »Ich war noch ein Teenager.«
»Wow«, sagte ich.
»Ja, man lebt, und man lernt«, sagte Mel. Sie nippte an ihrem Bier. »Aber ich würde nichts ändern wollen, gar
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