Daemmerung der Leidenschaft
garantiert das letzte Mal«, schnaubte er.
Lucinda lächelte schwach. »Gut. Es fällt mir nicht leicht, das von meiner eigenen Familie zu sagen – aber Corliss hat eine gemeine, hinterhältige Ader. Es ist gut für Roanna, daß du wieder da bist.«
Aber ich bin nicht dagewesen, als sie mich am meisten gebraucht hätte, klagte es in seinem Innern. Er hatte sich aus dem Staub gemacht, hatte sie mit ihrer Angst und ihren Alpträumen allein gelassen. Was mußte er da noch hören? Roanna war in Jessies Blut getreten? Das hatte er nicht gewußt und auch nichts von dem enormen Streß, unter dem sie offenbar stand. Seine Frau war gerade ermordet worden, und man beschuldigte ihn; er hatte selbst genug Probleme um die Ohren und ihren Streß als Schuldgefühle interpretiert. Er hätte es besser wissen müssen, denn er stand Roanna näher als jeder andere.
Es fiel ihm ein, wie sie die einhellige Verdammung der Stadt ignoriert und ihre magere Hand in die seine geschoben hatte, damals bei Jessies Beerdigung, um ihm Trost zu spenden. In Anbetracht der wilden Gerüchte, die um sie kursierten, daß Jessie ihn angeblich beim Bumsen mit Roanna erwischt hatte, mußte es sie schon eine ganze Menge Mut gekostet haben, so auf ihn zuzugehen. Aber sie hatte es trotzdem getan, ohne Rücksicht auf ihren Ruf – weil sie glaubte, er würde sie brauchen. Statt ihre Hand zu drücken, irgend etwas zu tun, das ihr Vertrauen signalisiert hätte, stieß er sie damals zurück.
Sie war für ihn dagewesen, aber er nicht für sie.
Überlebt hatte sie, aber um welchen Preis?
»Ich hab sie zuerst gar nicht erkannt«, überlegte er fast abwesend. Sein Blick ließ Lucinda keine Sekunde los. »Sie ist nicht nur älter geworden, sondern hat sich vollkommen verschlossen.«
»Nur so konnte sie mit allem zurechtkommen. Sie ist jetzt stärker; ich glaube es hat ihr einen ganz schönen Schrecken eingejagt, als ihr klar wurde, wie nah sie am Abgrund stand. So weit hat sie es nie wieder kommen lassen. Aber sie schaffte es nur, indem sie die Außenwelt auf Distanz hielt und sich innerlich vollkommen verschloß. Mir scheint, sie fürchtet sich, zu viel zu empfinden, also läßt sie überhaupt keine Gefühle mehr zu. Ich dringe nicht zu ihr durch, und der Himmel weiß, ich habe es versucht – aber auch das geht auf mein Konto.«
Lucinda straffte ihre Schultern, wie um eine Altlast zurechtzurücken, die ihr so vertraut geworden war, daß sie sich an sie gewöhnt hatte. »Als sie Jessie fand und schrie, sind wir alle ins Zimmer gerannt und haben sie bei der Leiche stehen sehen. Gloria nahm sofort an, daß Roanna Jessie getötet hätte, und das haben sie und Harlan auch dem Sheriff erzählt. Booley hat einen Deputy zu ihrer Bewachung abgestellt, während er die Sache näher untersuchte. Wir saßen alle auf der einen Seite des Wohnzimmers und Roanna auf der anderen, ganz allein, bis auf den Deputy. Ich werde nie vergessen, wie sie uns angesehen hat, als ob wir ihr ein Messer in den Rücken gejagt hätten. Ich hätte zu ihr gehen müssen, so wie ich zu dir hätte gehen müssen, aber ich habe es nicht getan. Seitdem hat sie mich nie wieder Großmutter genannt«, flüsterte Lucinda nun. »Ich dringe einfach nicht zu ihr durch. Sie tut, was nötig ist, aber ihr liegt gar nichts mehr an Davenport. Als ich zu ihr sagte, daß ich mein Testament wieder zu deinen Gunsten ändern würde, wenn sie es schaffte, dich zurückzuholen – da hat sie nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Ich wollte, daß sie mir widerspricht, daß sie wütend wird, daß es ihr nicht egal ist. Aber sie rührte sich nicht!« Lucindas Stimme machte ihre Fassungslosigkeit deutlich, denn wie konnte jemandem ihr geliebtes Davenport egal sein?
Dann seufzte sie. »Weißt du noch, wie sie früher war, ein kleiner Schachtelteufel, ein Stehaufmännchen? Immer ist sie gerannt, die Treppen rauf und runter, hat Türen geknallt, war zu laut ... Also ich schwöre, sie hatte überhaupt kein Benehmen. Nun, jetzt würde ich alles darum geben, sie nur einmal wieder hüpfen zu sehen. Immer hat sie die falschen Dinge zur falschen Zeit gesagt, und jetzt sagt sie gar nichts mehr. Man kann unmöglich wissen, was in ihr vorgeht.«
»Lacht sie überhaupt noch jemals?« fragte Webb mit heiserer Stimme. Er vermißte ihr Lachen, ihr ansteckendes Kichern, wenn sie wieder irgendwelchen Unsinn aushecken wollte, oder ihr herzliches, kehliges Lachen über einen Witz, den er gerade erzählt hatte, ihr glückliches Glucksen, wenn
Weitere Kostenlose Bücher