Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
wiederzufinden, und nun ängstigte sie sich vor dem Eintreten in dieses Reich.
Jemand wandelt dort umher, von dem du lediglich einige Geschichten gehört hast, ähnlich wie vom Sandmann oder den Traumwebern, dachte sie mit einem Schaudern. Sie hatte eine vage Vorstellung von ihnen im Kopf, nicht mehr als Phantasmen, und genau das sollten sie auch bleiben. Den Inkubus jedoch gab es, das hatte Ella am eigenen Leib erfahren, als er sie durch Gabriels Spiegel angesehen hatte. Dieses Nachtgeschöpf kannte sie, vielmehr noch: Es hatte sie angelockt und Gabriel dadurch gezwungen, sich ihr zu offenbaren. Das war es, was Ella besonders ängstigte. Bislang hatten sich ihre Sorgen als unbegründet erwiesen. Sie träumte jede Nacht, lauter wirres Zeug, in dem sie durch endlose Flure, Schächte und Gänge rannte. Allein … oder vielleicht auch nicht. Falls jemand anders dort war, verbarg er sich vor ihr. Mehr als diese ungenauen Eindrücke blieben ihr beim Erwachen nicht, aber sie fühlte sich elend gehetzt. Weder der Garten noch Gabriel spielten eine Rolle in ihren Träumen, nur das Gefühl von schnell verrinnender Zeit. Fast fühlte Ella sich versucht, Gabriel darauf anzusprechen, traute sich dann jedoch nicht. Es war alles zu kompliziert, ein einziges Minenfeld.
»Warum lässt du Gabriel am langen Arm verhungern?«, fragte Kimi sie unvermittelt bei einem Shooting.
Einer der lukrativsten Jobs für Fotografen waren Hochzeiten, einer der Momente im Leben, in dem die Menschen definitiv Wert darauf legten, professionell eingefangen zu werden. Das künftige Paar, das Ella den Auftrag erteilt hatte, meinte es richtig ernst, zumindest die Braut, die eine eigene Bilderreihe in ihrem Kleid haben wollte. Nun stand sie auf der Wendeltreppe im alten Rathaus und strengte sich an, glücklich auszusehen, während Ella und Kimi ihre Ausrüstung aufbauten. Die junge Frau war ein wahres Meisterwerk aus Make-up, Haarspray und weißen Stoffbergen, nur hinkte ihre Ausstrahlung der Aufmachung noch hinterher, denn sie war das reinste Nervenbündel. Dieses Mädel im Tüllrausch dazu zu bekommen, ihrer Rolle gerecht zu werden, würde noch eine echte Herausforderung werden. Kimis Nieten- und Löcher-Outfit trug sicherlich nicht zu ihrer dringend notwendigen Entspannung bei.
Gerade brachte Kimi den Slave, eine kleine externeBlitzanlage, in Position, ohne dass Ella auch nur in die entsprechende Richtung gezeigt hätte. In Gedanken nannte sie ihn bereits liebevoll ihren Schatten – einen sehr begabten Schatten, wie sie jetzt feststellte. »Du bist ein Traum von einem Assistenten«, erklärte sie Kimi.
»Klar, ich bin super«, nahm Kimi das Kompliment ohne
falsche Bescheidenheit an.
»Übrigens auch, wenn es um Liebesdinge geht. Also, Tante Ella: Der böse Gabriel hat mit einer anderen Frau rumgemacht. Das ist schlecht, voll daneben, keine Frage. Aaaaber, und das ist jetzt meines Erachtens der springende Punkt, ihr beide hattet zu diesem Zeitpunkt noch nichts am Start. So gesehen, ist es einfach blöd gelaufen. Trotzdem bestrafst du ihn für diesen unbedeutenden Fremdfick und übersiehst dabei, dass du dir selbst eins auswischst.
Gabriel ist nämlich so ziemlich das Appetitlichste, das mir jemals unter die Augen gekommen ist. Und das Beste an der ganzen Geschichte ist, dass er voll und ganz dir gehören will.«
»Kimi, dein letzter Satz war eben der Beweis, dass du nicht die geringste Ahnung hast.«
Ella winkte der Braut aufmunternd zu, die trotz ihres dicken Make-ups aschfahl aussah. Für manche Menschen bedeutete fotografiert zu werden den reinsten Stress, vor allem in einem Moment von so übergroßer Bedeutung. Vermutlich hatte sie die letzten Monate damit
verbracht, sich auszumalen, wie überwältigend sie als künftige Braut auf den Aufnahmen aussehen würde. Alle Männer wären hingerissen, ihre Mutter würde Tränen der Rührung
vergießen, während ihre Freundinnen vor Eifersucht vergingen. Bei so viel Druck konnten einfach keine guten Fotos entstehen.
Kimi, ansonsten 1a-Nachwuchsfotograf, kümmerte sich nicht einen Deut um die
Seelenqualen des abzulichtenden Objekts. Stattdessen hielt er hartnäckig an dem Thema fest, bei dem Ella genauso gepeinigt dreinblickte wie die Braut.
»Na, ist dir denn nicht aufgefallen, dass Gabriel jede Nacht
brav auf seinem Futon
verbringt und tagsüber besonders auffällig dafür sorgt, dass wir immer genau wissen, wo er sich rumtreibt, sobald er einen Fuß vor die Tür setzt? ›Hey, ich fahr mal
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