DÄMONENHASS
erstickte. »Aber entferne dich nicht allzu weit. Und wenn ich dich rufe, komm sofort her.« Seine kurzen Finger rissen Vasagis Hemd auseinander und glitten mit knetenden Bewegungen über die Erhebungen seines freigelegten Rückgrats.
Nestor entfernte sich mit stolpernden Schritten über den Pfad, der zu der sterbenden Glut von Wrans Lagerfeuer führte. Schwer hing der Geruch nach gebratenem Fleisch in der Luft. Irgendein wildes Tier war dort zugange, ein Fuchs oder ein Wildhund, den Nestors nahende Schritte aufschreckten. Er packte den heruntergefallenen Spieß mit dem Fleisch daran, ließ das heiße Fleisch wieder fallen, wich in die Schatten zurück und kehrte gleich darauf zurück, um das Fleisch noch einmal anzugehen.
Nestor hatte sich Wrans Braten vorher nicht genauer angesehen, aber als er jetzt rauchend neben dem Feuer lag und der Fuchs – tatsächlich ein Fuchs – ein zweites Mal danach schnappte, erkannte er, was es war. Wenigstens glaubte er, es zu erkennen. Und dann wollte er es gar nicht mehr wissen, nur konnte sein Verstand die Gestalt nicht verdrängen: die geschwärzte Form eines Szgany-Kleinkindes! Der ›Köder‹, mit dem Wran Vasagi seine Anwesenheit verkündet und ihn in den Untergang gelockt hatte!
»Nestor, komm zu mir!« Wrans Stimme drang durch den dünner werdenden Nebel an Nestors Ohr. Nestor blickte auf und erkannte, wie weit der Tagesanbruch schon fortgeschritten war. Über dem Grenzgebirge war das Funkeln des Nordsterns schon viel schwächer geworden. Aber als er den Unheilsstern sah, flammte seine Vorstellung erneut klar und hell in ihm auf, und sein Grauen verschwand. Angst? Zittern? Zaudern? Nein, dies war sein angestammtes Erbe. Er war der Lord Nestor, und er kehrte nach Hause zurück.
Er begab sich wieder zu Wran und sah sich einem Albtraum gegenüber! Aber Nestor hatte seine Empfindsamkeiten weitgehend verloren, sie waren verkümmert und hatten sich sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Was ihn vor Kurzem noch mit Entsetzen erfüllt hätte, übte nun lediglich eine morbide Faszination auf ihn aus. Dies waren die Dinge, die er irgendwie vergessen hatte oder die man ihn hatte vergessen lassen, aber die er sich wieder ins Gedächtnis zurückrufen oder auch neu erlernen musste, wenn er es auf der Sternseite zu etwas bringen wollte. Vielleicht war überhaupt sein Versagen, diese Dinge zu schätzen, für seine gegenwärtige missliche Lage verantwortlich!
Wran erkannte seine ungesunde Faszination und nickte. »Nun, du bist schon ein seltener Vogel, das gebe ich gerne zu. Ich gab dir die Gelegenheit zur Flucht – der Tag ist beinahe angebrochen, ich muss bald gehen und hätte dich nicht verfolgt –, aber du bist immer noch hier. Du willst also wirklich ein Wamphyri werden.«
Nestor hörte ihn kaum, sah nur kurz zu ihm hin und bemerkte, dass sein Gesicht und der Mund fast wieder ›menschlich‹ waren, jedoch blutbefleckt. Dann starrte er wieder auf Vasagi herab, dessen Rücken bis auf den Knochen aufgerissen war. Dort wand sich etwas Schwarzes – sein Parasit? –, jedoch mit schwachen Bewegungen, die denen einer sterbenden Schlange aus schwarzem Muskelgewebe glichen. Das Wesen war halb mit dem freiliegenden Rückgrat verwachsen. Es war verletzt worden, und eine tiefrote Flüssigkeit sickerte aus ihm heraus. Die Farbe entsprach genau den Blutflecken auf Wrans Gesicht und Lippen.
Schließlich fragte Nestor, wobei seine Stimme Staunen verriet, aber so gut wie keine Furcht: »Warum habt ihr gegeneinander gekämpft? Ihr seid doch wohl beide Wamphyri.«
Wran lachte auf. »Ist das nicht Grund genug?« Und dann nüchterner: »Er hat mich beleidigt.« Er zuckte die Achseln. »Nun ja, wir beleidigten uns gegenseitig. Unser Zwist war mannigfaltiger Art und konnte so nicht mehr weitergehen. Unsere Behausungen lagen zu nahe beieinander, und wir liefen uns zu häufig über den Weg. Die Herausforderung war beidseitig und konnte nur dadurch beigelegt werden, dass einer von uns den Tod finden musste. Dennoch verspürten wir kein Verlangen danach, unseren ›Brüdern‹ und unserer ›Schwester‹ im letzten Horst der Sternseite ein Schauspiel zu bieten. Also sollte unser Zweikampf privat, hier auf der Sonnseite, ausgetragen werden. Es gab keine Regeln, nur die, dass wir allein antreten sollten. Die gesamte Sonnseite war unser Schlachtfeld, und der Kampf sollte über die lange Nacht von Sonnunter bis Sonnauf stattfinden.«
»Und wenn er nicht zu dir gekommen wäre?« Nestors Blick hing wie gebannt
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