Daemonenherz
zärtlich. Er zog mich mit seiner blutenden Hand an sich und atmete etwas ruhiger. «Du hättest nicht kommen dürfen.»
«Ich weiß. Aber ich liebe dich, was sollte ich tun?»
Er verzog den Mund zu einem Lächeln. «Ich habe nicht zu wagen gehofft, dich wieder zu sehen.»
«Alles wird gut», flüsterte ich und strich ihm die verkrusteten Haare aus dem Gesicht.
Er schüttelte den Kopf. «Es ist zu spät. Ich überlebe das hier nicht. Zu viel…»
Er hustete und krümmte sich. Mein Innerstes gefror. Nein. Er durfte nicht sterben. Nicht nachdem ich es bis hierher geschafft hatte. Er musste leben. Er musste gerettet werden. Lucifel würde ihn bis in alle Ewigkeit büßen lassen.
Ich zögerte. Krallte meine Finger in seinen Körper. Aber meine Entscheidung war gefallen.
Es gab keine Zukunft, die wir beide teilen konnten. Entweder er oder ich. Er hatte mich gerettet, sich gegen Lucifel gestellt. Sich gegen alles gestellt nur um mich zu retten.
Nein. Ich war diejenige, die auf der ganzen Linie versagt hatte. Nicht nur als Pfeiler, auch als Mensch.
Die Entscheidung war so klar in meinem Kopf, dass ich die Ruhe besaß, mit lauter und fester Stimme zu sprechen.
Zum ersten Mal in meinem Leben betete ich.
«Gott!» rief ich.
Ich spürte, wie sich jeder Muskel in Raciels Körper spannte. Er wusste, was ich tat.
«Gott, wenn du mich hörst! Wenn du mich suchst! Ich bin hier. Ich flehe dich an, rette ihn. Beschütze ihn und schenk ihm das Leben, das er verdient. Bitte. Bitte.»
Tränen flossen über mein Gesicht und meine Stimme versagte. Ich hielt Raciel mit aller Kraft fest. Ich wollte ihn nicht verlieren. Aber ich musste dafür sorgen, dass er lebte. Egal, was danach geschah.
Er
musste leben.
Eine Weile geschah nichts. Ich spürte nur Raciels Atem und sah wie er litt. Ich wusste was er hoffte. Das Gott mich nicht erhörte.
Aber er tat es.
Ich hatte mich seinem Willen widersetzt.
Ich kannte die Strafe dafür.
Mir wurde heiß. Es fühlte sich an, als verbrenne ich bei lebendigem Leib. Ich schrie und ließ Raciel los. Hitze umgab mich. Etwas wurde aus mir heraus gerissen.
Mit einem Schlag wurde mir schlecht. Ich war allein. Fühlte mich allein. Zurückgelassen. Einsam. Wütend. Hasserfüllt.
Meine Hoffnung war weg. Das Gefühl von Geborgenheit, dass ich seit meinem Erwachen als Engel gespürt hatte, riss sich von mir los. Alles, was zurückblieb, war Trauer, Verzweiflung und Einsamkeit.
Dunkelheit.
Die Hitze flachte ab und zurück blieb eine unglaubliche Kälte. Ich zitterte am ganzen Körper. Als ich wieder klar sehen konnte, fiel mein Blick auf Raciel. Seine Flügel waren nachgewachsen, seine Wunden eingetrocknet. Ein Funken Glück flackerte in mir auf.
Er war erschöpft. Nur mit Mühe rappelte er sich auf. Er konnte kaum stehen. In seinem Blick lag blankes Entsetzen.
«Was hast du getan», flüsterte er.
Ein gequältes Flüstern. Er brach vor mir auf die Knie und nahm mein Gesicht in seine Hände.
«Wieso», flüsterte er und drückte seine Stirn auf meine. «Wieso du», wimmerte er und krümmte sich.
Ich war starr. Leer, auf eine grässliche, brutale Art und Weise.
«Was fühlst du», flüsterte ich.
Er sah mich an. In seinen Augen lag etwas, dass ich bei ihm noch nie gesehen hatte.
Glück.
«Fast wie früher», antwortete er.
Ich lächelte gequält. «Ich werde dich jetzt zu Ygdrasil bringen», antwortete ich und stand auf.
Er schaffte es nicht alleine. Ich stützte ihn und spannte die Flügel. Ein Rieseln erklang. Ich warf einen Blick zurück. Meine Flügel hatten die Farbe von Asche. Ein Gemisch aus schwarz und grau. Ein beschmutztes Weiß. Mit jeder Bewegung rieselte etwas dieser Asche zu Boden und zum Vorschein kamen zerfetzte, verblichene
Federn. Mein Blick fiel auf meine Arme. Kleine Dornen hatten sich von Innen aus meiner Haut gebohrt und stachen nun als eine schwarze gepunktete Linie auf meinen Unterarmen hervor. Ich spürte keinen Schmerz. Nichts.
Ich ignorierte meine neue Gestalt und flog die paar Meter zum Spiegel hinauf. Mit aller Kraft dachte ich an den Palast und schleppte Raciel durch die kühle Scheibe.
Wir erreichten den Thronsaal. Raciel schwieg. Ich wusste, dass er auf die eine Seite unendlich glücklich war und das spendete mir Trost. Mir war auch klar, dass er nicht gewollt hatte, dass ich mich für ihn opferte.
Er wurde schwerer und ich musste ihn absetzen. Erschöpft sank ich neben ihm auf den blank polierten Boden des Thronsaales. Ich spiegelte mich darin.
Meine
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