... dann eben Irland (Das Kleeblatt)
zwickte geblendet die Augen zusammen. Wie befürchtet, wimmelte es im Haus von fremdem Personal, das nach dem Dinner Ordnung schaffte.
Máire und Fearghais dagegen standen untätig vor der Bibliothek und lieferten sich mit hochroten Köpfen einen heftigen Schlagabtausch. Aus den Satzfetzen, die zwischen den beiden hin und her flogen, wurde Suse nicht recht schlau, da sie ihre Unterhaltung auf Gälisch führten. Gab es denn nichts Wichtigeres, als über ein Bild zu streiten? Was für ’n Bild überhaupt? Sie sah sich um, konnte jedoch keine Veränderung in der Halle feststellen.
Lautes Gepolter hinter der Tür zur Bibliothek ließ sie zusammenfahren. Erschrocken eilte Suse auf die Ó Briains zu, d ie sofort verstummten, als sie ihren deutschen Gast bemerkten. Schweigend machten sie ihr Platz, schuldbewusst, wie es schien, wichen sie ihrem fragenden Blick aus, obwohl eigentlich sie von Gewissensbissen geplagt sein sollte.
Noch einmal holte sie tief Luft und straffte die Schultern. Sie erwartete keine Reaktion auf ihr Klopfen, deshalb öffnete sie die schwere Eichentür und trat ein.
Das Zimmer bot ein horrormäßiges Bild . (Dabei war doch sie für Chaos und Anarchie zuständig!) Als hätte ein Tornado gewütet, waren Bücher – ausnahmslos uralte Schwarten, in teures Leder gebunden und mit Goldschnitt auf dem empfindlichen Pergament – aus den Regalen gefegt, lose Blätter und Schreibutensilien achtlos vom Tisch geweht und in einem heillosen Durcheinander auf dem Boden verteilt. Der Schmutz an Clausings Reitstiefeln hatte eine hässliche Spur auf dem empfindlich hellen Teppich vor dem Schreibtisch hinterlassen.
Am meisten bestürzte sie indes die Veränderung, die Matthias selbst durchgemacht hatte: Es sah aus, als wäre er in den letzten paar Minuten um Jahre gealtert. Wie nicht anders zu erwarten, lag er inzwischen mehr, als dass er noch aufrecht sitzen konnte, in seinem Sessel. Die Kristallkaraffe mit dem Whiskey rollte über den Boden. Es war nicht viel von der Flüssigkeit ausgelaufen. Dafür hatte der Graf bereits gesorgt.
Suse musste all ihre Kraft zusammennehmen, um ihre Erschütterung nicht zu zeigen. Betont langsam schlenderte sie zu Clausings Sessel und nahm ihm das leere Glas aus der Hand. Sie bemerkte den Siegelring mit dem eingravierten Wappen der Maguires, den er sich zur Feier des Tages übergestreift und noch nicht wieder abgenommen hatte, seinen Hiermit-schlage-ich-aufdringliche-Weiber-in-die-Flucht-Ring. Wenngleich sie leichtes Bedauern darüber empfand, hielt sie standhaft ihre Lästerzunge im Zaum.
„Mein Freund … mein Freund war mein … Bruder? Ein richtiger Bruder?“, stammelte er mit schwerer Zunge und schüttelte den Kopf. Er stieß einen zittrigen Seufzer aus und Suse konnte den Puls an seinem Hals schnell wie einen Presslufthammer klopfen sehen. „Hast du das so gemeint, wie du es gesagt hast? Mir ist, als hätte ich alles bloß geträumt.“
„Ich hätte es dir schonender beibringen sollen.“
„Der kleine Feurige. Ich habe diese Geschichte oft gehört, weißt du? Diese und tausend andere. Eine herzzerreißender als die nächste. So sind sie nun mal, die Iren, sentimental bis zum Geht-nicht-Mehr und mit einem Hang zum Melodramatischen. Eine gute Geschichte zu hören, bedeutet denen mehr, als die Taschen voller Geld zu haben. Und ich hielt es für ein Märchen wie all die anderen, eine Geschichte aus längst vergangener Zeit, eine von der Sorte, die Großmütter in langen Winternächten ihren Enkeln am stinkenden Torffeuer erzählen. Mehr nicht. Und vor allem nichts für mich.“
Seine Wangen waren feucht von den Tränen, die noch immer aus seinen Augenwinkeln traten. Suse nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und zog ihn an sich. Sie streichelte ihn sanft, geradezu liebevoll behutsam. Es tat gut, wenngleich ihn die Berührung fast verbrannte.
„Ich habe es nicht gewusst, Suse. Und es tut mir leid. Es tut mir so furchtbar leid.“
„Ihr ward Freunde, Matt’n, und ihr seid wie Brüder aufgewachsen, was willst du mehr? Keiner von euch zweien hat etwas verpasst, bloß weil ihr es nicht schwarz auf weiß hattet, dass ihr Brüder seid. Habt ihr es nicht sogar irgendwo ganz tief hier drin gefühlt?“ Sie presste ihre Hand auf sein hart trommelndes Herz. Leicht strich sie über seine Brust, als könnte sie damit seinen Herzschlag beruhigen.
„Der alte Graf hat uns betrogen. Ossi … A idan war der Erstgeborene. Das Kind seiner Liebe. Aber ich – ausgerechnet ich! –
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