Dann fressen ihn die Raben
irgendein Scholarship.“
Ich strich ihr weiter über den Kopf.
„Und dann vermisse ich Jonathan so sehr. Wir waren zwar nur eineinhalb Monate zusammen, aber er war der Einzige, der mich jemals richtig beeindruckt hat. Mir ist klar, dass die Leute mich für kalt halten. Aber mit Jonathan zusammen … Er kam hinter diesen Panzer, den ich aufgebaut habe. Er hat mich verstanden. Und das tun nicht viele.“
„Vielleicht kann ich dich auch ein bisschen verstehen?“, fragte ich vorsichtig.
„Ja, kann sein. Du hast zumindest den Mut dazu.“ Sie nahm meine Hand und drückte sie. Und ich? Ich schloss meine Augen und beugte mich über sie.
Die kalte Abendluft schlug mir ins Gesicht, als ich wieder vor Livs Haustür stand. Und das einzige Wort, was noch in meinem Kopf widerhallte, war …
FUCK!
Sie hatte sich blitzschnell aufgerichtet und mich wie eine Kobra angestarrt.
„WAS MACHST DU DA? BIST DU BESCHEUERT?“
„Ich dachte …?“
„Was dachtest du? Was?“
„Nichts, he he. Das tut mir leid. Ich dachte einfach nur, wir würden gerade einen besonderen Moment teilen.“
„Bist du etwa hergekommen, um mich anzubaggern?“
„Nein, nein!“
„Verdammt noch mal, Nick. Hau einfach ab! Und nein. Du verstehst mich auch nicht. Leider. Also versteht mich NIEMAND!“ Ihr standen die Tränen in den Augen, aber ihre Stimme war ruhig.
„Jetzt nimm es doch nicht so ernst. Nur eine schlechte Angewohnheit von mir. Sorry.“ Keine Reaktion.
„Du bildest dir doch hoffentlich nicht ein, dass ich in dich verknallt bin, oder?“, sagte ich gerade noch, bevor mir die Tür vor der Nase zuschlug.
Tick tack, tick tack. Ich wusste nicht, wo ich hingehen sollte. Ich wollte einfach nur alles vergessen. Mich selbst vergessen, und all den Mist, den ich in einem großen, stinkenden Haufeneigenhändig vor mir aufgetürmt hatte. Ich dachte nicht groß nach. Rief Tobias an. Im Hintergrund laute Musik. Party. Bei Tobias? Das würde mir bestimmt helfen, alles zu vergessen.
Die Musik war unglaublich laut, als ich ankam. Deep Trance . Der gleiche, murmelnde Beat, der sich die ganze Zeit wiederholte. Kleine Variationen über einen langen Zeitraum. Tobias’ Freunde. Die nicht meine Freunde waren. Ich war eher ein Bekannter. Tobias wuschelte mir zur Begrüßung durchs Haar. Ausnahmsweise hatte er nicht diese hängenden Augenlider, sondern schien voller Elan. „Nick, zum Teufel! Welch vornehmer Besuch!“ Er holte einen Joint heraus und zündete ihn für mich an. Und los ging’s. Volle Kraft voraus.
„Musikwünsche?“, rief er durch das Lärmgewitter.
Ich nickte. „ Portishead. The Rip . Von der Third“, sagte ich. Er nickte und klickte ein paar Mal auf dem PC herum, der die ganze Zeit lief. Keine Stille. Die Stimmen lärmten und kreischten. Ich sah mich um. Anscheinend besaß Tobias Unmengen an rosafarbenen Klappstühlen. Ich wurde an den Sofatisch gesetzt. Dann begann der Song. Beth Gibbons’ Stimme brachte mich immer fast zum Heulen. Ich nahm einen tiefen Zug und hustete mir anschließend fast die Lunge aus dem Leib. Das Mädchen neben mir klopfte mir auf den Rücken.
„Was ist los, Schätzchen? Alles klar?“
Ich nickte und versuchte mich zusammenzureißen, obwohl mir der ganze Rachen brannte.
„Das kann noch viel schlimmer werden“, rief sie. Ich hielt fieberhaft nach ihrem Typen Ausschau.
Sie: „Woher kennst du Tobias?“
Ich: „Bla bla bla.“
Sie: „Bla bla.“
Ich: „Ha ha.“
Blubber blubber. Sie war süß. Nicht so süß wie Liv, sondern einfach nur nett und sympathisch. Und erwachsen. Vielleicht so um die fünfundzwanzig. Der Joint haute mich ziemlich um. Wir bekamen zusammen einen Lachanfall, weil sich keiner von uns erinnern konnte, worüber wir noch vor einer Sekunde geredet hatten und wir ständig wieder von vorn anfangen mussten. Tobias kam in regelmäßigen Abständen vorbei und wuschelte mir durchs Haar und grinste bis über beide Backen.
Bier trank man hier nicht. Es gab Wasser mit Eiswürfeln – und Tequila. Das war alles. Ich trank Wasser und amüsierte mich prächtig. War völlig entspannt.
„Na, Schätzchen, Lust auf ein kleines Abenteuer?“, sagte sie und strich mir mit einem Finger über das Kinn. Die Bilder von Rie und Mira blitzten an mir vorbei, und meine Begeisterung ging gegen null. Ich hatte keine Lust. Nicht mehr.
„Ach, du glaubst, ich will mit dir in die Federn steigen? Nein, keine Angst.“ Sie lächelte.
„Nein … also …“ Ich stammelte. Sie lächelte.
„Tut mir
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