Dark Moon
Augen weh, deshalb musste ich beim Fahren meine Sonnenbrille aufsetzen. Das Radio schaltete ich aus, weil ich die Musik unerträglich fand. Stattdessen konzentrierte ich mich auf den Verkehr. Glücklicherweise war nicht viel los. Die meisten Pendler fuhren über die Lions Gate Bridge in die Vorstädte. Ich hoffte, um diese Zeit einen Parkplatz in der Nähe des Zeitungsgebäudes zu finden, und hatte tatsächlich Glück. In der Eingangshalle des Redaktionsgebäudes bat ich den Rezeptionisten, M r Sheldon anzurufen. Fünf Minuten später war Dads Kollege da.
»Schön, dass du so schnell kommen konntest.«
»Wo ist Mark?«, fragte ich aufgeregt.
»Komm mit.«
Wir eilten eine Feuertreppe hinab. Neben dem Archiv, das aus einer Galerie mannshoher Aktenschränke bestand, gab es einen kleinen, fensterlosen Raum, der in kaltes Neonlicht getaucht war und in dem vier Geräte standen, die wie überdimensionierte Kopierer aussahen. Neben Mark lag ein Stapel alter Zeitungen, die er mechanisch abzuarbeiten schien.
»Seit sieben Uhr ist er hier und hat immer noch keine Pause gemacht. Er isst nichts, er trinkt nichts«, flüsterte M r Sheldon besorgt, als hätte er Angst, Mark könnte ihn hören. »Ich wollte ihn schon nach Hause schicken, aber er ist stur wie ein Maultier. Wenn er so weitermacht, bricht er noch zusammen.«
»Mark.« Ich legte meine Hand auf seine Schulter.
»Was ist?«, brummte er, blickte aber nicht von seiner Arbeit auf.
»Mark, ich bin’s. Lydia.«
»Ich weiß, wer du bist.« Seine Stimme war abweisend und schroff.
»Mark, schau mich bitte an!«, forderte ich ihn auf.
»Geh nach Hause, Liddy.« Er wusste, dass ich es nicht leiden konnte, wenn er mich so nannte. »Geh und lass mich in Ruhe.«
Ich zog den Stecker und der Scanner schaltete sich aus.
Mark seufzte. Endlich drehte er sich zu mir um. Ich erschrak. Mark sah entsetzlich aus. Er trug noch immer dasselbe T-Shirt wie bei unserem Treffen im Schnellrestaurant, inzwischen war es durchgeschwitzt und voller Flecken.
Ich rümpfte die Nase. »Wann hast du dich das letzte Mal gewaschen?«
»Was geht dich das an?« Er streckte die Hand aus. »Gib mir den Stecker.«
Ich schüttelte den Kopf. »Erst wenn wir miteinander gesprochen haben.«
Für eine Sekunde funkelten seine Augen zornig, dann aber machte er eine resignierte Geste. Er wollte sich an mir vorbeischieben, doch ich rührte mich nicht vom Fleck.
»Geh mir aus dem Weg, sons t …«, sagte er. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie M r Sheldon sich bereit machte einzugreifen.
»Sonst was?« Ich wurde jetzt richtig wütend auf ihn. »Mark, ich erkenne dich nicht mehr wieder! Früher warst du mein Point Guard, den nichts aus der Ruhe bringen konnte. Und nun zerfließt du in Selbstmitleid!«
»Was hast du denn für eine Ahnung?«, schrie er. Er schlug die Hände vors Gesicht, rutschte die Wand hinunter und schluchzte erbärmlich. Ich gab M r Sheldon ein Zeichen, dass alles okay sei, und er ließ uns allein.
Ich setzte mich neben Mark. Es war schockierend. Noch nie hatte ich ihn in einem so erbärmlichen Zustand erlebt. Er schluchzte noch ein paarmal und beruhigte sich danach etwas.
»Entschuldige«, sagte er nur und blickte zu Boden.
»Mark, mach dich nicht lächerlich! Nach allem, was du in den letzten Wochen durchgemacht hast, war es nur eine Frage der Zeit, bis du zusammenbrichst. Du bist ein alter Sturkopf«, sagte ich. »Immer musst du alles alleine mit dir ausmachen, statt meine Hilfe anzunehmen.«
»Es tut mir leid«, sagte er leise.
»Und hör auf, dich ständig bei mir zu entschuldigen!«, sagte ich.
»Die Polizei hat meinen Vater vernommen«, sagte Mark.
»Mit welchem Ergebnis?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon wusste.
»Er war es nicht. Dads Alibi ist absolut wasserdicht. Er hat die Klinik in der fraglichen Nacht nicht verlassen.«
»Woher will man das so genau wissen?«
»Das Personal hat es bestätigt. Und auch die Überwachungskameras haben gezeigt, dass niemand unerlaubt das Klinikgelände verlassen hat.« Mark presste die Kiefer aufeinander und ballte die Fäuste. »Und dennoch bin ich mir sicher, dass er dahintersteckt.«
»Hat er dir gegenüber noch eine Andeutung gemacht?«, fragte ich.
»Das musste er nicht. Seine Selbstzufriedenheit hat für sich gesprochen.«
»Das muss schlimm sein für deine Mutter.«
Mark lachte bitter. »Mom blendet alles aus, was mit Dad zu tun hat. Sie konzentriert sich auf ihre Arbeit und lässt den ganzen Wahnsinn nicht an sich
Weitere Kostenlose Bücher